Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters. Höchstalter für den Eintritt in den Ruhestand. Nationale Rechtsvorschrift, die für Bundesrichter jegliches Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand ausschließt. Möglichkeit für Bundesbeamte und Landesrichter, das Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand zu beantragen. Ungleichbehandlung wegen der Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder des Arbeitsorts
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG Art. 2 Abs. 2 Buchst. a
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf
ist dahin auszulegen, dass
eine nationale Regelung, wonach Bundesrichter ihren Eintritt in den Ruhestand nicht hinausschieben dürfen, während Bundesbeamte und Landesrichter dies dürfen, keine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung im Sinne dieser Bestimmung begründet.
Tatbestand
In der Rechtssache C-349/23 [Zetschek](
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Karlsruhe (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. April 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Juni 2023, in dem Verfahren
HB
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer F. Biltgen (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Präsidentin der Fünften Kammer M. L. Arastey Sahún und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, W. Ewer und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch T. S. Bohr, F. Clotuche-Duvieusart und E. E. Schmidt als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen HB, Richter am Bundesgerichtshof (Deutschland), und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz (Deutschland) (im Folgenden: BMJ), wegen der Ablehnung des Antrags von HB auf Hinausschieben seines Eintritts in den Ruhestand durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 2000/78 lautet:
„Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.“
Rz. 4
Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1
a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
…“
Rz. 5
Art. 3 („Geltungsbereich“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen …“
Rz. 6
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fö...