Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 und 42 EG). Artikel 9a und 94 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Arbeitsunfall, der sich vor Inkrafttreten der Verordnung im Herkunftsmitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat ereignet hat. Berufsunfähigkeit
Beteiligte
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten |
Tenor
1. Die Situation eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der vor dessen Beitritt zur Europäischen Union in einem anderen Mitgliedstaat unselbständig erwerbstätig war, dort einen Arbeitsunfall erlitten hat und nach dem Beitritt seines Herkunftsstaats bei den zuständigen Stellen des Letzteren eine Berufsunfähigkeitspension wegen dieses Unfalls beantragt, fällt in den Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung.
2. Artikel 94 Absatz 3 der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung in Verbindung mit Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift wie § 235 Absatz 3 lit. a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes entgegensteht, die eine Ausnahme vom Erfordernis einer Wartezeit als Voraussetzung für den Anspruch auf eine Pension wegen Berufsunfähigkeit, wenn diese die Folge eines – im vorliegenden Fall vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung in dem betreffenden Mitgliedstaat erlittenen – Arbeitsunfalls ist, nur für den Fall vorsieht, dass das Opfer zur Zeit des Unfalls nach den Rechtsvorschriften dieses Staates – unter Ausschluss der Rechtsvorschriften sämtlicher anderen Mitgliedstaaten – pflicht- oder selbstversichert war.
3. Die Artikel 48 Absatz 2 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 Absatz 2 EG und 42 EG) sind dahin auszulegen, dass sie einer Vorschrift wie § 234 Absatz 1 Ziffer 2 lit. b des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes in Verbindung mit § 236 Absatz 3 dieses Gesetzes entgegenstehen, die für die Verlängerung des Rahmenzeitraums, innerhalb dessen die Wartezeit für die Begründung eines Pensionsanspruchs zu erfüllen ist, nur die Zeiten berücksichtigt, in denen der Versicherte aufgrund einer inländischen Unfallversicherung eine Berufsunfähigkeitspension bezogen hat, ohne die Möglichkeit einer Verlängerung des Rahmenzeitraums für den Fall vorzusehen, dass eine solche Leistung nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährt wurde.
4. Artikel 9a der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung Nr. 118/97 geänderten und aktualisierten Fassung, der mit den Artikeln 48 Absatz 2 und 51 EG-Vertrag unvereinbar ist, soweit er ausdrücklich die Möglichkeit ausschließt, für die Verlängerung des Rahmenzeitraums nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Zeiten zu berücksichtigen, in denen Arbeitsunfallrenten nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gezahlt wurden, wird für ungültig erklärt.
Tatbestand
In der Rechtssache C-290/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Obersten Gerichtshof (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Johann Franz Duchon
gegen
Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG) sowie über die Auslegung oder Gültigkeit der Artikel 9a und 94 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter S. von Bahr und M. Wathelet (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Duchon, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Hawel und E. Eypeltauer,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch W. Bogensberger als Bevollmächtigten,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. November 2001,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Der Oberste Gerichtshof hat mit Beschluss vom 27. Juni 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2000, gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung j...