Entscheidungsstichwort (Thema)
Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Verpflichtung, für die Ansprüche der Arbeitnehmer Garantien vorzusehen. Möglichkeit der Beschränkung der Garantie auf bis zum Tag der Eintragung des Urteils über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Handelsregister entstandene Ansprüche. Urteil über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Wirkungen. Fortsetzung der Tätigkeit des Arbeitgebers
Normenkette
Richtlinie 80/987/EWG; Richtlinie 2002/74/EG; Richtlinie 2008/94/EG Art. 2-3
Beteiligte
Direktor na fond „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” kam Natsionalnia osiguritelen institut |
Tenor
Die Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers ist dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, Garantien für die Ansprüche der Arbeitnehmer in jedem Abschnitt des Insolvenzverfahrens über ihren Arbeitgeber vorzusehen. Insbesondere steht sie nicht dem entgegen, dass die Mitgliedstaaten eine Garantie nur für diejenigen Ansprüche der Arbeitnehmer vorsehen, die vor der Eintragung des Urteils über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das Handelsregister entstanden sind, auch wenn mit diesem Urteil nicht die Beendigung der Tätigkeit des Arbeitgebers angeordnet wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 9. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2012, in dem Verfahren
Meliha Veli Mustafa
gegen
Direktor na fond „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” kam Natsionalnia osiguritelen institut
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Direktor na fond „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” kam Natsionalnia osiguritelen institut, vertreten durch V. Karaivanova-Nacheva als Bevollmächtigte,
- der bulgarischen Regierung, vertreten durch D. Drambozova als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und D. Roussanov als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23) in der durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 270, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 80/987).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Mustafa und dem Direktor na fond „Garantirani vzemania na rabotnitsite i sluzhitelite” kam Natsionalnia osiguritelen institut (Direktor des Fonds „Garantierte Ansprüche der Arbeitnehmer” beim Nationalen Versicherungsinstitut, im Folgenden: Direktor), wegen dessen Weigerung, Ansprüche der Klägerin des Ausgangsverfahrens gegen ihren im Insolvenzverfahren befindlichen Arbeitgeber zu befriedigen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nachdem die Richtlinie 80/987 in der ursprünglichen Fassung mehrfach und erheblich geändert worden war, insbesondere durch die Richtlinie 2002/74, wurde sie aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit durch die Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 36) kodifiziert.
Rz. 4
Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/94, dessen Wortlaut mit dem des fünften Erwägungsgrundes der Richtlinie 2002/74 nahezu identisch ist, lautet:
„Zur Gewährleistung eines angemessenen Schutzes der betroffenen Arbeitnehmer ist es angebracht, den Begriff der Zahlungsunfähigkeit im Lichte der Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten auf diesem Sachgebiet zu bestimmen und mit diesem Begriff auch andere Insolvenzverfahren als Liquidationsverfahren zu erfassen. In diesem Zusammenhang sollten die Mitgliedstaaten, um zu bestimmen, ob die Garantieeinrichtung zu einer Zahlung verpflichtet ist, vorsehen können, dass für den Fall, dass das Vorliegen einer Insolvenz zu mehreren Insolvenzverfahren führt, die Situation so behandelt wird, als handelte es sich um ein einziges Insolvenzverfahren.”
Rz. 5
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/94 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie gilt ein Arbeitgeber als zahlungsunfähig, wenn die Eröffnung eines nach den Rechts- und Verwaltung...