Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESGERICHTSHOF – DEUTSCHLAND. FREIER WARENVERKEHR – MENGENMAESSIGE BESCHRAENKUNGEN – MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG – VERBOT EINER WERBUNG MIT PREISGEGENUEBERSTELLUNGEN. Freier Warenverkehr ° Mengenmässige Beschränkungen ° Maßnahmen gleicher Wirkung ° Regelung, wonach die Werbung mittels der Gegenüberstellung von zu verschiedenen Zeiten angewandten Preisen für ein und dasselbe Erzeugnis verboten ist ° Anwendung auf eine Werbeaktion für aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Erzeugnisse ° Unzulässigkeit ° Rechtfertigung ° Verbraucherschutz ° Lauterkeit des Handelsverkehrs ° Verneinung (EWG-Vertrag, Artikel 30)
Leitsatz (amtlich)
Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung der Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, die einem in diesem Staat ansässigen Unternehmen, das aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Waren nach Katalog oder Verkaufsprospekt im Versand vertreibt, die Werbung mit Preisen verbietet, bei der mit blickfangmässiger Herausstellung des neuen Preises auf einen höheren Preis Bezug genommen wird, der in einem früheren Katalog oder Verkaufsprospekt enthalten ist.
Ein solches Verbot kann nämlich dadurch, daß es den Unternehmer zwingt, sich entweder für die einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlicher Systeme der Werbung und Absatzförderung zu bedienen oder ein System, das er für besonders wirksam hält, aufzugeben, selbst dann ein Einfuhrhindernis darstellen, wenn es unterschiedslos für inländische und für eingeführte Erzeugnisse gilt. Soweit das Verbot für jede blickfangmässige Werbung mit Preisgegenüberstellungen unabhängig davon gilt, ob sie wahr oder unwahr ist, lässt sie sich nicht mit zwingenden Erfordernissen des Verbraucherschutzes rechtfertigen, da das verfolgte Ziel mit Maßnahmen erreicht werden kann, die sich auf den innergemeinschaftlichen Handel weniger restriktiv auswirken; gleiches gilt für die Erfordernisse der Lauterkeit des Handelsverkehrs, da zutreffende Preisgegenüberstellungen keinesfalls die Wettbewerbsbedingungen verfälschen können.
Normenkette
EWGVtr Art. 30
Beteiligte
Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft e.V |
Tenor
Artikel 30 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er der Anwendung der Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats A entgegensteht, die einem in diesem Staat ansässigen Unternehmen, das aus dem Mitgliedstaat B eingeführte Waren nach Katalog oder Verkaufsprospekt im Versand vertreibt, die Werbung mit Preisen verbietet, bei der mit blickfangmässiger Herausstellung des neuen Preises auf einen höheren Preis Bezug genommen wird, der in einem früheren Katalog oder Verkaufsprospekt enthalten ist.
Gründe
1 Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 11. April 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 1991, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um entscheiden zu können, ob eine nationale Regelung über kommerzielle Werbung mit diesen Vorschriften vereinbar ist.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft, einem eingetragenen Verein mit Sitz in München (im folgenden: Kläger), und der Yves Rocher GmbH, einer Tochtergesellschaft der französischen Gesellschaft Laboratoires de biologie végétale Yves Rocher (im folgenden: Beklagte), über eine von der Beklagten verbreitete Werbung durch eine Gegenüberstellung von alten und neuen Preisen ihrer Erzeugnisse.
3 Bis 1986 war Werbung durch Gegenüberstellung der Preise ein und desselben Unternehmens zulässig, soweit sie nicht unlauter oder zur Irreführung des Verbrauchers geeignet war. Auf Drängen bestimmter Kreise des Einzelhandels fügte der deutsche Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung wirtschafts-, verbraucher-, arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 1986 in § 6e des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 7. Juni 1909 ein Verbot der Werbung mittels der Gegenüberstellung einzelner Preise ein. Durch dieses Verbot sollen die Verbraucher und die Konkurrenten gegen Werbung mit Preisgegenüberstellungen geschützt werden.
4 Das in § 6e UWG enthaltene Verbot gilt jedoch nicht absolut. Es ist nämlich eine Ausnahme für nicht blickfangmässige Preisgegenüberstellungen (§ 6e Absatz 2 Nr. 1 UWG) sowie für Katalogwerbung (§ 6e Absatz 2 Nr. 2 UWG) vorgesehen.
5 Die Beklagte vertreibt in der Bundesrepublik Deutschland im Versandhandel Kosmetika, die von ihrer Muttergesellschaft geliefert und überwiegend in Frankreich hergestellt werden. Die Werbung für diese Erzeugnisse, für die die Muttergesellschaft eine einheitliche Konzeption für die verschiedenen betroffenen Mitgliedstaaten festgelegt hat, wird in Katalogen und Verkaufsprospekten verbreitet. Im Rahmen ihrer Verkaufstätigkeit verbreitete die Beklagte einen Prospekt, in dem unter der Überschrift „Sparen Sie bis zu 50 % und mehr bei 99 Yves Rocher Favoriten” neben dem durchgestrichenen alten Preis ...