Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Mindestnormen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus. Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz. Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland. Günstigere Normen. An einer schweren Krankheit leidender Antragsteller. Nichtverfügbarkeit einer angemessenen Behandlung im Herkunftsland. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Gerichtlicher Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung. Garantien bis zur Rückkehr. Grundbedürfnisse
Normenkette
Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 19 Abs. 2, Art. 47; Richtlinie 2008/115/EU Art. 3, 13-14; Richtlinie 2004/83/EU Art. 15 Buchst. b, Art. 3
Beteiligte
Centre public d'action sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve |
Tenor
Die Art. 5 und 13 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 14 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen,
- die einem Rechtsbehelf, der gegen eine Entscheidung eingelegt wird, die gegenüber einem an einer schweren Krankheit leidenden Drittstaatsangehörigen anordnet, das Gebiet eines Mitgliedstaats zu verlassen, keine aufschiebende Wirkung verleihen, wenn die Vollstreckung dieser Entscheidung den Drittstaatsangehörigen einer ernsthaften Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands aussetzen könnte, und
- die nicht die im Rahmen des Möglichen erfolgende Befriedigung der Grundbedürfnisse dieses Drittstaatsangehörigen vorsehen, um zu gewährleisten, dass die medizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten innerhalb der Fristen, während deren der betreffende Mitgliedstaat die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen infolge der Einlegung des entsprechenden Rechtsbehelfs aufschieben muss, tatsächlich gewährt werden können.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2013, in dem Verfahren
Centre public d'action sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve
gegen
Moussa Abdida
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten M. Ilešic, L. Bay Larsen (Berichterstatter), T. von Danwitz und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Richter A. Rosas, E. Juhász und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby sowie der Richterinnen M. Berger und A. Prechal,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Centre public d'action sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve, vertreten durch V. Vander Geeten, avocat,
- von Herrn Abdida, vertreten durch O. Stein, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und T. Materne als Bevollmächtigte im Beistand von J.-J. Masquelin, D. Matray, J. Matray, C. Piront und N. Schynts, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Banner, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. September 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31, S. 18), der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304, S. 12, und – Berichtigung – ABl. 2005, L 204, S. 24), der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326, S. 13, und – Berichtigung – ABl. 2006, L 236, S. 36) und der Art. 1 bis 4, des Art. 19 Abs. 2 sowie der Art. 20, 21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Centre public d'action sociale d'Ottignies-Louvain-la-Neuve (öffentliches Sozialhilfezentrum Ottignies-Lo...