Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesellschaftsteuer, EWR-Abkommen, Fusion, Spaltung, Einbringung von Unternehmensteilen, Austausch von Anteilen, Austausch von Anteilen zwischen einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat und einer Gesellschaft mit Sitz in einem EWR-Drittstaat
Leitsatz (amtlich)
Art. 31 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 steht Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nach denen ein Austausch von Anteilen zwischen einer im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ansässigen Gesellschaft und einer Gesellschaft mit Sitz im Hoheitsgebiet eines dem EWR angehörenden Drittlands einer steuerpflichtigen Veräußerung von Anteilen gleichgestellt wird, während ein solcher Vorgang steuerlich neutral wäre, wenn daran nur inländische oder in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften beteiligt wären, entgegen, sofern zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und dem Drittland ein Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen besteht, das einen ebenso wirksamen Informationsaustausch zwischen nationalen Behörden vorsieht wie die Bestimmungen der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern sowie der Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15. Februar 2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Normenkette
EWR-Abkommen Art. 31
Beteiligte
Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö |
Verfahrensgang
KHO (Finnland) (Urteil vom 31.01.2011; ABl. EU 2011, Nr. C 103/30) |
Tatbestand
„Direkte Besteuerung ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Freier Kapitalverkehr ‐ EWR-Abkommen ‐ Art. 31 und 40 ‐ Richtlinie 2009/133/EG ‐ Geltungsbereich ‐ Austausch von Anteilen zwischen einer Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat und einer Gesellschaft mit Sitz in einem dem EWR angehörenden Drittstaat ‐ Versagung eines Steuervorteils ‐ Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen“
In der Rechtssache C-48/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 31. Januar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Februar 2011, in dem Verfahren
Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö
gegen
A Oy
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Februar 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der A Oy, vertreten durch M. Ohtonen, asianajaja,
‐ der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
‐ der norwegischen Regierung, vertreten durch K. B. Moen und K. Moe Winther als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lyal und I. Koskinen als Bevollmächtigte,
‐ der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch X. Lewis und F. Simonetti als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 31 und 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Veronsaajien oikeudenvalvontayksikkö, der finnischen Finanzverwaltung, und der A Oy (im Folgenden: A), einer finnischen Gesellschaft, über einen Austausch von Anteilen.
Rechtlicher Rahmen
EWR-Abkommen
Rz. 3
Art. 6 des EWR-Abkommens bestimmt:
„Unbeschadet der künftigen Entwicklungen der Rechtsprechung werden die Bestimmungen dieses Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl sowie der aufgrund dieser beiden Verträge erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit den einschlägigen Entscheidungen ausgelegt, die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens erlassen hat.“
Rz. 4
Art. 31 des Abkommens bestimmt:
„(1) Im Rahmen dieses Abkommens unterliegt die freie Niederlassung von Staatsangehörigen eines … Mitgliedstaats [der Europäischen Gemeinschaft] oder eines … Staates [der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)] im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten keinen Beschränkungen. Das gilt gleichermaßen für die Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines … Mitgliedstaat...