Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Verbreitungsrecht. Verletzung. Zum Verkauf bestimmte Waren mit einem urheberrechtlich geschützten Motiv. Lagerung zu kommerziellen Zwecken. Vom Verkaufsort getrenntes Lager
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Lagerung von Waren, die mit einem im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats der Lagerung urheberrechtlich geschützten Motiv versehen sind, durch einen Händler eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, wenn dieser Händler in einem Ladenlokal ohne Zustimmung des Urheberrechtsinhabers Waren, die mit den gelagerten Waren identisch sind, zum Verkauf anbietet, sofern die gelagerten Waren tatsächlich zum Verkauf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bestimmt sind, in dem dieses Motiv geschützt ist. Die Entfernung zwischen Lager- und Verkaufsort kann für die Feststellung, ob die gelagerten Waren zum Verkauf im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats bestimmt sind, für sich allein nicht ausschlaggebend sein.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 21. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. September 2017, in dem Strafverfahren gegen
Imran Syed
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Riksåklagare, vertreten durch M. Hedström und K. Skarp als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Samnadda und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Oktober 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines vom Riksåklagare (Generalstaatsanwalt, Schweden) gegen Herrn Imran Syed wegen Verstößen gegen das Markenrecht und das Eigentum an literarischen und künstlerischen Werken eingeleiteten Strafverfahrens.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag (im Folgenden: WCT) an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde und am 14. März 2010 für die Europäische Union in Kraft trat (ABl. 2010, L 32, S. 1).
Rz. 4
Art. 6 „Verbreitungsrecht”) Abs. 1 des WCT bestimmt:
„Die Urheber von Werken der Literatur und Kunst haben das ausschließliche Recht zu erlauben, dass das Original und Vervielfältigungsstücke ihrer Werke durch Verkauf oder sonstige Eigentumsübertragung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.”
Unionsrecht
Rz. 5
Art. 4 „Verbreitungsrecht”) Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.”
Schwedisches Recht
Rz. 6
Das Lag (1960:729) om upphovsrätt till litterära och konstnärliga verk (Gesetz [1960:729] über das Urheberrecht an literarischen und künstlerischen Werken, im Folgenden: Gesetz [1960:729]) setzt die Richtlinie 2001/29 in schwedisches Recht um.
Rz. 7
§ 53 dieses Gesetzes lautet:
„Mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren wird bestraft, wer in Bezug auf ein literarisches oder künstlerisches Werk vorsätzlich oder grob fahrlässig Handlungen vornimmt, die das gemäß den Kapiteln 1 und 2 dieses Gesetzes an dem Werk bestehende Urheberrecht verletzen oder gegen eine in § 41 Abs. 2 oder § 50 vorgesehene Bestimmung verstoßen.”
Rz. 8
Nach § 2 des Gesetzes kann eine solche Handlung u. a. darin bestehen, dass ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers verwertet wird, indem es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Gemäß Abs. 3 Nr. 4 dieses Artikels wird ein Werk u. a. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wenn Exemplare des Werks zum Verkauf, zur Vermietung oder zum Verleih angeboten oder auf andere ...