Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäisches Mahnverfahren. Vorlage ergänzender Unterlagen zum Nachweis der Forderung. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Prüfung durch das im Rahmen eines Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls befasste Gericht
Normenkette
EGV Nr. 1896/2006; Richtlinie 93/13/EWG
Beteiligte
Tenor
Art. 7 Abs. 2 Buchst. d und e der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens sowie Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof und im Licht von Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie es einem „Gericht” im Sinne dieser Verordnung, das im Rahmen eines Europäischen Mahnverfahrens befasst wird, ermöglichen, vom Gläubiger weitere Angaben zu den Vertragsklauseln, die zur Begründung der fraglichen Forderung geltend gemacht werden, zu verlangen, um von Amts wegen die etwaige Missbräuchlichkeit dieser Klauseln zu prüfen, und dass sie folglich nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die zu diesem Zweck beigebrachte ergänzende Unterlagen für unzulässig erklären.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia n° 11 de Vigo (Gericht erster Instanz Nr. 11 Vigo, Spanien) und vom Juzgado de Primera Instancia n° 20 de Barcelona (Gericht erster Instanz Nr. 20 Barcelona, Spanien) mit Entscheidungen vom 28. Juni und vom 17. Juli 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 11. und am 27. Juli 2018, in den Verfahren
Bondora AS
gegen
Carlos V. C. (C-453/18),
XY (C-494/18)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und V. Soņeca als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér und Z. Wagner als Bevollmächtigte,
- des Europäischen Parlaments, vertreten durch S. Alonso de León und T. Lukácsi als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J. Monteiro, S. Petrova Cerchia und H. Marcos Fraile als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, N. Ruiz García und M. Heller als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 31. Oktober 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29), von Art. 7 Abs. 2 Buchst. d und e der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. 2006, L 399, S. 1) und von Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1896/2006.
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Europäischer Mahnverfahren zwischen der Bondora AS auf der einen Seite und Herrn Carlos V. C. bzw. XY auf der anderen Seite wegen Beitreibung der Forderungen aus Darlehensverträgen durch die Bondora AS.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:
„(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.
(2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft – insbesondere im Verkehrsbereich – Vertragsparteien sind, unterliegen nicht den Bestimmungen dieser Richtlinie.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.”
Rz. 5
In Art. 6 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatl...