Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Übereinkommen von Aarhus. Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen. Infrastrukturbauprojekt ‚Stuttgart 21’. Ablehnung eines Antrags auf Umweltinformationen. Ablehnungsgründe. Begriff ‚interne Mitteilungen’. Tragweite. Zeitliche Begrenzung des Schutzes interner Mitteilungen
Normenkette
Richtlinie 2003/4/EG Art. 4 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass der Begriff „interne Mitteilungen” alle Informationen erfasst, die innerhalb einer Behörde im Umlauf sind und die zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Zugang, gegebenenfalls nachdem sie bei dieser Behörde eingegangen sind und soweit sie der Öffentlichkeit vor diesem Eingang nicht zugänglich gemacht worden sind oder hätten zugänglich gemacht werden müssen, den Binnenbereich dieser Behörde nicht verlassen haben.
2. Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2003/4 ist dahin auszulegen, dass die Anwendbarkeit der Ausnahme vom Recht auf Zugang zu Umweltinformationen, die er für interne Mitteilungen einer Behörde vorsieht, zeitlich nicht begrenzt ist. Diese Ausnahme kann allerdings nur in dem Zeitraum angewandt werden, in dem der Schutz der angeforderten Information gerechtfertigt ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 8. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 19. August 2019, in dem Verfahren
Land Baden-Württemberg
gegen
D.R.,
Beteiligte:
Deutsche Bahn AG,
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch Rechtsanwalt G. Torsten,
- von D.R., vertreten durch Rechtsanwalt F.-U. Mann,
- der Deutsche Bahn AG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Krappel,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
- von Irland, vertreten durch M. Browne, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Brandon als Bevollmächtigten im Beistand von C. Knight, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch L.-M. Moen Jünge und K. Isaksen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. 2003, L 41, S. 26).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Land Baden-Württemberg (Deutschland) und D.R. wegen eines Antrags auf Zugang zu Umweltinformationen in Bezug auf bestimmte Unterlagen des Staatsministeriums Baden-Württemberg betreffend das Verkehrsinfrastruktur- und Städtebauprojekt „Stuttgart 21” im Stuttgarter Schlossgarten.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Das am 25. Juni 1998 in Aarhus unterzeichnete und mit dem Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigte Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (ABl. 2005, L 124, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Aarhus) bestimmt in Art. 4 Abs. 3:
„Ein Antrag auf Informationen über die Umwelt kann abgelehnt werden, wenn
…
c) der Antrag Material betrifft, das noch fertig gestellt werden muss, oder wenn er interne Mitteilungen von Behörden betrifft, sofern eine derartige Ausnahme nach innerstaatlichem Recht vorgesehen ist oder gängiger Praxis entspricht, wobei das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe dieser Informationen zu berücksichtigen ist.
…”
Unionsrecht
Verordnung (EG) Nr. 1049/2001
Rz. 4
Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) sieht vor:
„Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezi...