Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Steuerrecht. Mehrwertsteuer. Begriffe ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ und ‚Steuerpflichtiger’. Umsätze, die auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus einem Gegenstand gerichtet sind. Erwerb von Immobilien durch einen Gläubiger in einem zur Beitreibung grundpfandrechtlich besicherter Darlehen eingeleiteten Zwangsvollstreckungsverfahren und Verkauf dieser Immobilien. Bloße Ausübung des Eigentumsrechts durch seinen Inhaber
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1 Buchst. a, Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2
Beteiligte
AJFP Sibiu und DGRFP Braşov |
Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Sibiu |
Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov |
Verfahrensgang
Curtea de Apel Alba Iulia (Rumänien) (Beschluss vom 22.03.2018; ABl. EU 2020, Nr. C 19/8) |
Tenor
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass der Umsatz, bei dem eine Person den Zuschlag für eine Immobilie erhält, die in einem zur Beitreibung eines zuvor gewährten Darlehens eingeleiteten Zwangsvollstreckungsverfahren beschlagnahmt wurde, und diese Immobilie später verkauft, für sich genommen keine wirtschaftliche Tätigkeit darstellt, wenn dieser Umsatz zur bloßen Ausübung des Eigentumsrechts und zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Privatvermögens gehört, so dass diese Person in Bezug auf diesen Umsatz nicht als Steuerpflichtiger angesehen werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Alba Iulia (Berufungsgericht Alba Iulia, Rumänien) mit Entscheidung vom 22. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. August 2019, in dem Verfahren
Administraţia Judeţeană a Finanţelor Publice Sibiu,
Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov
gegen
LN
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von LN, vertreten durch G. Comăniţă, avocat,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, A. Rotăreanu und S.-A. Purza als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia und R. Lyal als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 2 und 9 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Administraţia judeţeană a finanţelor publice Sibiu (AJFP Sibiu) (Regionalverwaltung für öffentliche Finanzen Sibiu, Rumänien) und der Direcţia Generală Regională a Finanţelor Publice Braşov (DGRFP Braşov) (Regionale Generaldirektion für Finanzen Braşov, Rumänien) auf der einen Seite und LN auf der anderen Seite wegen einer zusätzlichen Mehrwertbesteuerung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Gebiet eines Mitgliedstaats gegen Entgelt tätigt, der Mehrwertsteuer unterliegen.
Rz. 4
Art. 9 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Als ‚Steuerpflichtiger’ gilt, wer eine wirtschaftliche Tätigkeit unabhängig von ihrem Ort, Zweck und Ergebnis selbstständig ausübt.
Als ‚wirtschaftliche Tätigkeit’ gelten alle Tätigkeiten eines Erzeugers, Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt insbesondere die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen Erzielung von Einnahmen.”
Rumänisches Recht
Rz. 5
Art. 125¹ der Legea nr. 571/2003 privind Codul fiscal (Gesetz Nr. 571/2003 über das Steuergesetzbuch) vom 22. Dezember 2003 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 927/23. Dezember 2003) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Steuergesetzbuch) sieht vor:
„(1) Im Sinne dieses Titels haben die nachfolgenden Begriffe und Ausdrücke die folgende Bedeutung:
…
18. ‚Steuerpflichtiger’ im Sinne von Art. 127 Abs. 1: eine natürliche Person, eine Gruppe von Personen, eine öffentliche Einrichtung, eine juristische Person sowie jede andere Rechtspersönlichkeit, die fähig ist, eine wirtschaftliche Tätigkeit auszuüben;
…
20. ‚Nichtsteuerpflichtiger’: eine Person, die nicht die Voraussetzungen nach Art. 127 Abs. 1, um als Steuerpflichtiger zu gelten, erfüllt;
21. ‚Person’: ein Steuerpflichtiger, eine nicht steuerpflichtige juristische Person od...