Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters. Beamtenbesoldung. Frühere nationale Regelung, die für diskriminierend befunden wurde. Einstufung in ein neues Besoldungssystem unter Bezugnahme auf das nach einem früheren Besoldungssystem festgesetzte Dienstalter. Berichtigung dieses Dienstalters durch Festsetzung eines Vergleichsstichtags. Diskriminierender Charakter der neuen Einstufung. Vorschrift, die eher ältere Beamte benachteiligt
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG
Beteiligte
Landespolizeidirektion Niederösterreich und Finanzamt Österreich |
Tenor
1.Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
sind dahin auszulegen,
dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Einstufung eines Beamten auf der Grundlage seines Besoldungsdienstalters in einem alten Besoldungssystem erfolgt, das für diskriminierend befunden wurde, weil dieses System für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nur die Berücksichtigung der anrechenbaren Vordienstzeiten erlaubte, die nach Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt wurden und damit vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten ausschloss, soweit diese Regelung eine Korrektur der ursprünglich ermittelten anrechenbaren Vordienstzeiten durch Ermittlung eines Vergleichsstichtags vorsieht, bei dem für die Zwecke der Bestimmung des Besoldungsdienstalters nunmehr vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte anrechenbare Vordienstzeiten berücksichtigt werden, wenn zum einen hinsichtlich der nach dem 18. Geburtstag zurückgelegten Zeiten nur die zur Hälfte zu berücksichtigenden „sonstigen Zeiten“ berücksichtigt werden und zum anderen diese „sonstigen Zeiten“ von drei auf sieben Jahre erhöht werden, jedoch nur insoweit berücksichtigt werden, als sie vier Jahre übersteigen.
2.Der in Art. 20 der Charta der Grundrechte verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung und der Grundsatz der Rechtssicherheit
sind dahin auszulegen,
dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für Beamte, bei denen am Tag der Kundmachung einer Gesetzesänderung des Besoldungssystems ein Verfahren zur Neufestsetzung ihrer besoldungsrechtlichen Stellung anhängig war, vorsieht, dass die Bezüge nach den neuen Bestimmungen über den Vergleichsstichtag – die neue Begrenzungen in Bezug auf die Höchstdauer der anrechenbaren Zeiten enthalten – neu ermittelt werden, so dass eine gegen die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte verstoßende Diskriminierung wegen des Alters nicht beseitigt wird, wohingegen eine solche Ermittlung nicht für Beamte vorgenommen wird, bei denen ein zuvor eingeleitetes Verfahren mit gleichem Gegenstand bereits durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen war, die auf einem Stichtag beruht, der nach dem alten Besoldungssystem, dessen vom nationalen Richter für diskriminierend befundene Bestimmungen in unmittelbarer Anwendung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung unangewendet blieben, günstiger festgesetzt wurde.
3.Die Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78 in Verbindung mit Art. 21 der Charta der Grundrechte
sind dahin auszulegen,
dass sie nicht einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der bei einer inländischen Gebietskörperschaft absolvierte Lehrzeiten bei der Ermittlung des Vergleichsstichtags nur dann in vollem Umfang berücksichtigt werden, wenn der betreffende Beamte nach einem bestimmten Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde, während Lehrzeiten zur Hälfte berücksichtigt werden und einem Pauschalabzug unterliegen, wenn der betreffende Beamte vor diesem Zeitpunkt vom Staat eingestellt wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache C-650/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 18. Oktober 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Oktober 2021, in dem Verfahren
FW,
CE,
Beteiligte:
Landespolizeidirektion Niederösterreich,
Finanzamt Österreich,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von FW, vertreten durch Rechtsanwältin V. Treber-Müller,
- – von CE, vertreten durch Rechtsanwalt M. Riedl,
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Martin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen B...