Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz personenbezogener Daten. Anwendungsbereich. Begriff ‚Tätigkeit, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt’. Nationale und europäische Wahlen. Rechtmäßigkeit der Verarbeitung. Von den Aufsichtsbehörden erlassener Rechtsakt, mit dem die Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen beschränkt oder gegebenenfalls verboten wird

 

Normenkette

EUVO 679/2016 Art. 2 Abs. 2 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 Buchst. e, Art. 58

 

Beteiligte

Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Obedinenie”

Komisia za zashtita na lichnite danni

Tsentralna izbiratelna komisia

Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Obedinenie”

 

Tenor

1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

die Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit der Durchführung von Wahlen in einem Mitgliedstaat nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen ist.

2. Art. 6 Abs. 1 Buchst. e und Art. 58 der Verordnung 2016/679

sind dahin auszulegen, dass

diese Bestimmungen dem Erlass eines allgemeingültigen Verwaltungsakts durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, der die Beschränkung oder gegebenenfalls das Verbot der Videoaufzeichnung der Stimmenauszählung in Wahllokalen bei Wahlen in diesem Mitgliedstaat vorsieht, nicht entgegenstehen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) mit Entscheidung vom 23. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2021, in dem Verfahren

Komisia za zashtita na lichnite danni,

Tsentralna izbiratelna komisia

gegen

Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Obedinenie”

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters N. Piçarra in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Komisia za zashtita na lichnite danni, vertreten durch V. Karadzhov,
  • der rumänischen Regierung, vertreten durch L.-E. Baţagoi, E. Gane und A. Wellman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, C. Georgieva und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, im Folgenden: DSGVO).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Komisia za zashtita na lichnite danni (Kommission für den Schutz personenbezogener Daten, Bulgarien) (im Folgenden: KZLD) und der Tsentralna izbiratelna komisia (Zentrale Wahlkommission, Bulgarien) (im Folgenden: TSIK) auf der einen sowie der Koalitsia „Demokratichna Bulgaria – Оbedinenie” (im Folgenden: Koalitsia), einer Koalition von bulgarischen politischen Parteien, auf der anderen Seite, wegen der von der KZLD und der TSIK erlassenen Leitlinien für die Verarbeitung und den Schutz personenbezogener Daten im Wahlverfahren (im Folgenden: streitige Leitlinien).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4, 16 und 129 der DSGVO heißt es:

„(4) Die Verarbeitung personenbezogener Daten sollte im Dienste der Menschheit stehen. Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht; es muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Diese Verordnung steht im Einklang mit allen Grundrechten und achtet alle Freiheiten und Grundsätze, die mit der [Charta der Grundrechte der Europäischen Union] anerkannt wurden und in den Europäischen Verträgen verankert sind, insbesondere Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation, Schutz personenbezogener Daten, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, unternehmerische Freiheit, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.

(16) Diese Verordnung gilt nicht für Fragen des Schutzes von Grundrechten und Grundfreiheiten und des freien Verkehrs personenbezogener Daten im Zusammenhang mit Tätigkeiten, die nicht in den ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge