Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000. Insolvenzverfahren. Weigerung eines Mitgliedstaats, die Entscheidung des zuständigen Gerichts eines anderen Mitgliedstaats über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und die Entscheidungen über die Durchführung und die Beendigung dieses Insolvenzverfahrens anzuerkennen
Beteiligte
MG Probud Gdynia sp. z o.o |
Tenor
Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren und insbesondere deren Art. 3, 4, 16, 17 und 25 sind so auszulegen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nach der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat die zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats, in dem kein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, vorbehaltlich der in Art. 25 Abs. 3 und in Art. 26 der Verordnung genannten Nichtanerkennungsgründe verpflichtet sind, alle Entscheidungen im Zusammenhang mit diesem Hauptinsolvenzverfahren anzuerkennen und zu vollstrecken, und daher nicht berechtigt sind, nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats Vollstreckungsmaßnahmen in Bezug auf in diesem anderen Mitgliedstaat befindliche Vermögenswerte des Schuldners, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, anzuordnen, wenn das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dies nicht erlaubt und die Voraussetzungen für die Anwendung der Art. 5 und 10 der Verordnung nicht erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Sad Rejonowy Gdansk-Pólnoc w Gdansku (Polen) mit Entscheidung vom 27. Juni 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 27. September 2007, in dem Insolvenzverfahren
MG Probud Gdynia sp. z o.o.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer sowie der Richter E. Levits, A. Borg Barthet, M. Ilešič und J.-J. Kasel (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Juni 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der MG Probud Gdynia sp. z o.o., vertreten durch A. Studzinski, radca prawny, und M. Zytny, aplikant radcowski trzeciego roku,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz, C. Herma und A. Witczak-Sloczynska als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch S. Petrova und K. Mojzesowicz als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung mehrerer Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 603/2005 des Rates vom 12. April 2005 (ABl. L 100, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das von dem zur Liquidation der MG Probud Gdynia sp. z o.o. (im Folgenden: MG Probud) eingesetzten polnischen Insolvenzverwalter wegen der Rückgewähr des in Deutschland gepfändeten Vermögens dieser Gesellschaft zur Insolvenzmasse betrieben wird.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 3 (Internationale Zuständigkeit) der Verordnung bestimmt:
„(1) Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.
(2) Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaats, so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat. Die Wirkungen dieses Verfahrens sind auf das im Gebiet dieses letzteren Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt.
…”
Rz. 4
In Art. 4 der Verordnung (Anwendbares Recht) heißt es:
„(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung’ genannt.
(2) Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:
a) bei welcher Art von Schuldnern ein Insolvenzverfahren zuläs...