Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und -selbständigen. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Artikel 4 Absatz 2b. Beitragsunabhängige Sonderleistungen. Österreichische Leistung zur Deckung des Risikos der Pflegebedürftigkeit. Qualifizierung der Leistung und Zulässigkeit eines Wohnsitzerfordernisses nach der Verordnung Nr. 1408/71. Anspruchsberechtigter Angehöriger des Versicherten
Beteiligte
Tenor
1. Ein Pflegegeld wie das nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz vorgesehene stellt keine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 2b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, sondern eine Leistung bei Krankheit im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung dar.
2. Der Familienangehörige eines im Bundesland Salzburg beschäftigten Arbeitnehmers, der mit seiner Familie in Deutschland wohnt, kann vom zuständigen Träger seines Beschäftigungsortes die Zahlung eines Pflegegeldes wie des nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz vorgesehenen als einer Geldleistung bei Krankheit gemäß Artikel 19 der Verordnung Nr. 1408/71 verlangen, wenn er die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt, sofern er nicht nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem er wohnt, Anspruch auf eine gleichartige Leistung hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 27. Mai 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2003, in dem Verfahren
Silvia Hosse
gegen
Land Salzburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Schiemann und J. Makarczyk, des Richters J.-P. Puissochet (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Lenaerts, P. Kūris, E. Juhász, G. Arestis und A. Borg Barthet,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Silvia Hosse, vertreten durch die Rechtsanwälte W. Riedl und P. Ringhofer,
- des Landes Salzburg, vertreten durch die Rechtsanwälte F. Hitzenbichler und B. Zettl,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl und M. Winkler als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und N. A. J. Bel als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und S. da Nóbrega Pizarro als Bevollmächtigte,
- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von E. Sharpston, QC,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und D. Martin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. Oktober 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 4 Absatz 2b und 19 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1399/1999 des Rates vom 29. April 1999 (ABl. L 164, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl. L 245, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung sowie der Artikel 12 EG und 17 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der deutschen Staatsangehörigen Silvia Hosse (Klägerin) und dem Land Salzburg. Die Klägerin, deren Vater als Lehrer in Österreich, und zwar im Land Salzburg, beschäftigt ist, wehrt sich gegen die Weigerung dieses Bundeslandes, ihr nach dem Salzburger Pflegegeldgesetz (SPGG) Pflegegeld zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Artikel 1 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:
„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:
a) ‚Arbeitnehmer’ oder ‚Selbständiger’: jede Person,
i) die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;
…
t) ‚Leistungen’ und ‚Renten’: sämtliche Leistungen und Renten einschließlich aller ihrer Teile aus öffentlichen Mitteln, aller Zuschläge, Anpass...