Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Ärztliche Heilbehandlung, Schönheitsoperationen, Ästhetisch-plastische Chirurgie
Leitsatz (amtlich)
Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist wie folgt auszulegen:
‐ Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, d. h. ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen, fallen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen“ oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Buchst. b bzw. Buchst. c dieser Vorschrift, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.
‐ Die rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, ist als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich.
‐ Für die Beurteilung, ob Eingriffe wie die im Ausgangsverfahren unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen“ oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, ist es von Bedeutung, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird.
‐ Bei der Beurteilung, ob Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, sind sämtliche in diesem Abs. 1 Buchst. b und c hierfür aufgestellten Voraussetzungen sowie die sonstigen einschlägigen Vorschriften des Titels IX Kapitel 1 und 2 dieser Richtlinie, z. B. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und die Art. 131, 133 und 134 der Richtlinie, zu berücksichtigen.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. b, c
Beteiligte
Verfahrensgang
Högsta förvaltningsdomstol (Schweden) (Urteil vom 08.02.2012; ABl. EU 2012, Nr. C 118/19) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Richtlinie 2006/112/EG ‐ Befreiungen ‐ Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c ‐ Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie die mit ihnen eng verbundenen Umsätze ‐ Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden ‐Dienstleistungen, die in der Ausführung von Maßnahmen auf dem Gebiet der ästhetisch-plastischen Chirurgie und ästhetischen Behandlungen bestehen ‐ Eingriffe rein kosmetischer Natur, die lediglich auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden“
In der Rechtssache C-91/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta förvaltningsdomstol (Schweden) mit Entscheidung vom 8. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Februar 2012, in dem Verfahren
Skatteverket
gegen
PFC Clinic AB
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Jarašiūnas, A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ von Skatteverket, vertreten durch K. Korpinen als Bevollmächtigte,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou und D. Kalogiros als Bevollmächtigte,
‐ der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. De Stefano, avvocato dello Stato,
‐ der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
‐ der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und C. Schillemans als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem in Schweden für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständigen Skatteverk und der PFC Clinic AB (im Folgenden: PFC) wegen der für den Besteuerungszeitraum Mai 2007 geschuldeten Mehrwertsteuer.
Rechtlicher Rahmen
Die Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Die Mehrwertsteuerrichtlinie hat mit Wirkung ab 1. Januar 2007 die bisherige gemeinschaftliche Mehrwertsteuerregelung, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung...