Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Zeitlicher Anwendungsbereich. Vollstreckung einer Entscheidung, die vor dem Beitritt des Vollstreckungsstaats zur Europäischen Union erlassen wurde

 

Beteiligte

Wolf Naturprodukte

Wolf Naturprodukte GmbH

SEWAR spol. s r.o

 

Tenor

Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass diese Verordnung für die Anerkennung und Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung nur dann zum Tragen kommt, wenn sie zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Entscheidung sowohl im Ursprungsmitgliedstaat als auch im ersuchten Mitgliedstaat in Kraft war.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 13. Oktober 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2010, in dem Verfahren

Wolf Naturprodukte GmbH

gegen

SEWAR spol. s r.o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter G. Arestis und D. Šváby (Berichterstatter),

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: A. Calot Escobar,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze als Bevollmächtigten,
  • der lettischen Regierung, vertreten durch M. Borkoveca und A. Nikolajeva als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët und M. Šimerdová als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Februar 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Wolf Naturprodukte GmbH (im Folgenden: Wolf Naturprodukte), einer Gesellschaft mit Sitz in Graz (Österreich), und der SEWAR spol. s r.o. (im Folgenden: SEWAR), einer Gesellschaft mit Sitz in Šanov (Tschechische Republik), über die Anerkennung und Vollstreckung einer in Österreich ergangenen Entscheidung in der Tschechischen Republik.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Im fünften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:

„Am 27. September 1968 schlossen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Artikel 293 vierter Gedankenstrich des Vertrags das Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, dessen Fassung durch die Übereinkommen über den Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen [ABl. 1972, L 299, S. 32] geändert wurde (nachstehend ‚Brüsseler Übereinkommen’ genannt). Am 16. September 1988 schlossen die Mitgliedstaaten und die EFTA-Staaten das Übereinkommen von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. L 319, S. 9], das ein Parallelübereinkommen zu dem Brüsseler Übereinkommen von 1968 darstellt. Diese Übereinkommen waren inzwischen Gegenstand einer Revision; der Rat hat dem Inhalt des überarbeiteten Textes zugestimmt. Die bei dieser Revision erzielten Ergebnisse sollten gewahrt werden.”

Rz. 4

Der 19. Erwägungsgrund dieser Verordnung lautet:

„Um die Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Ebenso sollte das Protokoll von 1971 auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhängig sind, anwendbar bleiben.”

Rz. 5

Art. 4 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Hat der Beklagte keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, so bestimmt sich vorbehaltlich der Artikel 22 und 23 die Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Gesetzen.”

Rz. 6

Art. 26 der Verordnung bestimmt:

„(1) Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und der vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist.

(2) Das Gericht hat das Verfahren so lange auszusetzen, bis festgestellt ist, dass es dem Beklagten möglich war, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück so rechtzeitig...

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