Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Amtshilfe-Richtlinie auf das Gebiet von Gibraltar
Leitsatz (amtlich)
Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, dass es in den Bereichen Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern in der durch die Richtlinien 79/1070/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 und 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren geänderten Fassung nicht auf das Gebiet von Gibraltar anwendet.
Normenkette
EWGRL 799/77
Beteiligte
Kommission / Vereinigtes Königreich |
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland |
Tatbestand
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ‐ Richtlinie 77/799/EWG ‐ Gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden ‐ Bereiche Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern ‐ Unvollständige Umsetzung ‐ Gebiet von Gibraltar“
In der Rechtssache C-349/03
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 7. August 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
unterstützt durch:
Königreich Spanien, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelfer,
gegen
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch K. Manji und R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von D. Wyatt, QC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann und A. Rosas, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta und des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet, des Richters R. Schintgen, der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin) sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues, G. Arestis, M. Ilešič, J. Malenovský und J. Klŭcka,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. März 2005
folgendes
Urteil
1
Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen hat, dass es die Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten und indirekten Steuern (ABl. L 336, S. 15) in der durch die Richtlinien 79/1070/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 (ABl. L 331, S. 8) und 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 77/799) nicht auf das Gebiet von Gibraltar anwendet.
2
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 4. Dezember 2003 ist das Königreich Spanien als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.
3
Das Vereinigte Königreich beantragt, die Klage der Kommission abzuweisen und der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rechtlicher Rahmen
Teilweiser Ausschluss des Gebietes von Gibraltar vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts
4
Artikel 28 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1972, L 73, S. 14) lautet:
„Die Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft betreffend die Erzeugnisse des Anhangs II des EWG-Vertrags und die Erzeugnisse, die bei der Einfuhr in die Gemeinschaft infolge der Durchführung der gemeinsamen Agrarpolitik einer Sonderregelung unterliegen, sowie die Rechtsakte betreffend die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer sind auf Gibraltar nicht anwendbar, sofern der Rat nicht einstimmig auf Vorschlag der Kommission etwas anderes bestimmt.“
5
Nach Artikel 29 in Verbindung mit Anhang I Teil I Nummer 4 der Beitrittsakte ist Gibraltar vom Zollgebiet der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Die Richtlinie 77/799 und ihre Änderungen
6
Die Richtlinie 77/799 in ihrer ursprünglichen Fassung betraf die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern. Sie wurde auf der Grundlage von Artikel 100 EWG-Vertrag (nach Änderung Artikel 100 EG-Vertrag, jetzt Artikel 94 EG) erlassen.
7
Die Richtlinie 79/1070 erweiterte den Anwendungsbereich der Richtlinie 77/799, indem sie ihn auf die Mehrwertsteuer ausdehnte. Sie erging auf der Grundlage von Artikel 99 EWG-Vertrag (geändert durch die Einheitliche Europäische Akte, nac...