Entscheidungsstichwort (Thema)
Staatliche Beihilfen. Einer Billigfluggesellschaft von einem öffentlichen Unternehmen, das einen Flughafen betreibt, gewährte Vorteile. Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens hinsichtlich dieser Maßnahme. Verpflichtung der Gerichte der Mitgliedstaaten, sich nach der von der Kommission in dieser Entscheidung vorgenommenen Beurteilung hinsichtlich des Vorliegens einer Beihilfe zu richten
Normenkette
AEUV Art. 107-108
Beteiligte
Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH |
Tenor
Wenn die Europäische Kommission in Anwendung von Art. 108 Abs. 3 AEUV das in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehene förmliche Prüfverfahren hinsichtlich einer in der Durchführung begriffenen nicht angemeldeten Maßnahme eröffnet hat, ist ein mit einem Antrag auf Unterlassung der Durchführung dieser Maßnahme und auf Rückforderung bereits geleisteter Zahlungen befasstes nationales Gericht verpflichtet, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Konsequenzen aus einem eventuellen Verstoß gegen die Pflicht zur Aussetzung der Durchführung dieser Maßnahme zu ziehen.
Zu diesem Zweck kann das nationale Gericht beschließen, die Durchführung der in Rede stehenden Maßnahme auszusetzen und die Rückforderung der bereits gezahlten Beträge anzuordnen. Es kann auch beschließen, einstweilige Maßnahmen zu erlassen, um zum einen die Interessen der beteiligten Parteien und zum anderen die praktische Wirksamkeit der Entscheidung der Europäischen Kommission, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen, zu wahren.
Wenn das nationale Gericht hinsichtlich der Frage, ob die in Rede stehende Maßnahme eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, oder hinsichtlich der Gültigkeit oder der Auslegung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens Zweifel hat, kann es zum einen die Europäische Kommission um Erläuterung bitten, und zum anderen kann oder muss es gemäß Art. 267 Abs. 2 und 3 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union eine Frage zur Vorabentscheidung vorlegen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Koblenz (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2012, in dem Verfahren
Deutsche Lufthansa AG
gegen
Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH,
Beteiligte:
Ryanair Ltd,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Deutschen Lufthansa AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Martin-Ehlers,
- der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt T. Müller-Heidelberg,
- der Ryanair Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt G. Berrisch,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte im Beistand von A. Lepièce, avocate,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Noort und C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Di Bucci und T. Maxian Rusche als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 AEUV und 108 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Deutschen Lufthansa AG (im Folgenden: Lufthansa) und der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH (im Folgenden: FFH), der Betreiberin des Flughafens Frankfurt-Hahn, über die Einstellung und Rückforderung der staatlichen Beihilfen, die FFH der Ryanair Ltd (im Folgenden: Ryanair) gewährt habe.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 3 („Durchführungsverbot”) der Verordnung Nr. 659/1999 (EG) des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. L 83, S. 1) lautet:
„Anmeldungspflichtige Beihilfen nach Artikel 2 Absatz 1 dürfen nicht eingeführt werden, bevor die Kommission eine diesbezügliche Genehmigungsentscheidung erlassen hat oder die Beihilfe als genehmigt gilt.”
Rz. 4
Art. 4 („Vorläufige Prüfung der Anmeldung und Entscheidungen der Kommission”) dieser Verordnung bestimmt in seinen Abs. 2 bis 4:
„(2) Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Entscheidung fest.
(3) Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels [107 Absatz 1 AEUV] fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Ve...