Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Normen für den Inhalt des internationalen Schutzes. Flüchtlingseigenschaft. Sozialhilfeleistungen. Unterschiedliche Behandlung. Flüchtlinge mit befristeter Aufenthaltsberechtigung
Normenkette
Richtlinie 2011/95/EU Art. 29
Beteiligte
Bezirkshauptmannschaft Linz-Land |
Bezirkshauptmannschaft Linz-Land |
Tenor
1. Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsieht, dass Flüchtlinge, denen in einem Mitgliedstaat ein befristetes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde, geringere Sozialhilfeleistungen erhalten als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats und als Flüchtlinge, denen dort ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde.
2. Ein Flüchtling kann sich vor den nationalen Gerichten auf die Unvereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 berufen, um die Beseitigung der in dieser Regelung enthaltenen Beschränkung seiner Rechte zu erreichen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 2017, in dem Verfahren
Ahmad Shah Ayubi
gegen
Bezirkshauptmannschaft Linz-Land
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen (Berichterstatter), M. Safjan und D. Šváby,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ayubi, vertreten durch Rechtsanwalt H. Blum,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ahmad Shah Ayubi, einem Drittstaatsangehörigen, und der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land (Österreich) wegen deren Entscheidung, Herrn Ayubi und seiner Familie Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs in Form einer Basisleistung sowie eines vorläufigen Steigerungsbetrags zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Genfer Konvention
Rz. 3
Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 137, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt durch das am 31. Januar 1967 in New York geschlossene und am 4. Oktober 1967 in Kraft getretene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (im Folgenden: Genfer Konvention).
Rz. 4
Art. 23 „Öffentliche Fürsorge”) der Genfer Konvention lautet:
„Die vertragschließenden Staaten werden den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen gewähren.”
Unionsrecht
Rz. 5
Nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 bezeichnet der Ausdruck „internationaler Schutz” „die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus”.
Rz. 6
Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie bestimmt:
„So bald wie möglich nach Zuerkennung des internationalen Schutzes und unbeschadet des Artikels 21 Absatz 3 stellen die Mitgliedstaaten Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, einen Aufenthaltstitel aus, der mindestens drei Jahre gültig und verlängerbar sein muss, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.”
Rz. 7
Art. 29 „Sozialhilfeleistungen”) der Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staat...