Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Insolvenzverfahren. Anwendbares Recht. Europäisches Mahnverfahren. Nichtbegleichung einer vertraglichen Forderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Aufrechnungseinrede, die auf eine vor der Insolvenz entstandene vertragliche Forderung gestützt wird
Normenkette
EGV Nr. 1346/2000 Art. 4, 6
Beteiligte
KAN sp. z o.o., in Insolvenz |
Tenor
Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren in der durch die Verordnung (EG) Nr. 788/2008 des Rates vom 24. Juli 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nicht auf eine Klage des Insolvenzverwalters einer in einem ersten Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in Insolvenz anwendbar ist, mit der die Bezahlung von Waren begehrt wird, die in Erfüllung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrags geliefert wurden, und die sich gegen die in einem zweiten Mitgliedstaat ansässige andere am Vertrag beteiligte Gesellschaft richtet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof, Schweden) mit Entscheidung vom 12. März 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 20. März 2018, in dem Verfahren
CeDe Group
gegen
KAN sp. z o.o., in Insolvenz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie des Richters N. Piçarra,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch M. A. Sampol Pucurull, dann durch S. Centero Huerta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller, E. Ljung Rasmussen, G. Tolstoy und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. April 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 und 6 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 788/2008 des Rates vom 24. Juli 2008 (ABl. 2008, L 213, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1346/2000).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der in Schweden ansässigen CeDe Group AB und der KAN sp. z o.o. (im Folgenden: KAN), einer polnischen Gesellschaft in Insolvenz, wegen der Weigerung Ersterer, an Letztere den Betrag von 1 532 489 schwedischen Kronen (SEK) (rund 143 951 Euro) zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
VerordnungNr. 1346/2000
Rz. 3
Der sechste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000 lautete:
„Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:
„Diese Verordnung gilt für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben.”
Rz. 5
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung sah vor:
„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.”
Rz. 6
Art. 4 („Anwendbares Recht”) der Verordnung lautete:
„(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung’ genannt.
(2) Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:
…
d) die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Aufrechnung;
e) wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt;
…
g) welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen;
…”
Rz. 7
Art. 6 („Aufrechnung”) der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt in Abs. 1:
„Die Befugnis eines Gläubigers, mit seiner Forderung gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, wird von der Eröffnung des Ins...