Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Flughafenentgelte. Schutz der Rechte der Flughafennutzer. Möglichkeit des Flughafenleitungsorgans, niedrigere als die von der unabhängigen Aufsichtsbehörde gebilligten Entgelte zu vereinbaren. Rechtsbehelfe des Flughafennutzers. Inzidentanfechtung vor einem Zivilgericht, das nach Billigkeit entscheidet
Normenkette
Richtlinie 2009/12/EG Art. 3, 6, 11 Abs. 1, 7
Beteiligte
Tenor
1. Die Richtlinie 2009/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 über Flughafenentgelte und insbesondere ihr Art. 3, ihr Art. 6 Abs. 5 Buchst. a sowie ihr Art. 11 Abs. 1 und 7 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift entgegenstehen, nach der ein Flughafenleitungsorgan mit einem Flughafennutzer andere als die nach dieser Richtlinie von diesem Organ festgelegten und von der unabhängigen Aufsichtsbehörde gebilligten Flughafenentgelte festsetzen darf.
2. Die Richtlinie 2009/12 ist dahin auszulegen, dass sie einer Auslegung des nationalen Rechts entgegensteht, wonach es einem Flughafennutzer verwehrt ist, die Genehmigung der Flughafenentgeltordnung durch die unabhängige Aufsichtsbehörde unmittelbar anzufechten, er aber gegen das Flughafenleitungsorgan Klage vor einem Zivilgericht erheben und dort allein geltend machen kann, dass das in der Flughafenentgeltordnung festgesetzte Entgelt, das er zu zahlen habe, nicht der Billigkeit entspreche.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 12. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2018, in dem Verfahren
Deutsche Lufthansa AG
gegen
Land Berlin,
Beteiligte:
Berliner Flughafen GmbH,
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. April 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Deutsche Lufthansa AG, vertreten durch Rechtsanwälte H. Neumann, M. Wortmann und B. Tavakoli,
- des Landes Berlin, vertreten durch Rechtsanwalt R. Klinger,
- der Berliner Flughafen GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt R. Körner,
- der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch T. Henze und S. Eisenberg, dann durch S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und B. Sasinowska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Juni 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3, Art. 6 Abs. 3 bis 5 sowie Art. 11 Abs. 1 und 7 der Richtlinie 2009/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 über Flughafenentgelte (ABl. 2009, L 70, S. 11).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Deutsche Lufthansa AG und dem Land Berlin (Deutschland) über die von diesem erteilte Genehmigung der von der Berliner Flughafen GmbH (im Folgenden: BFG) als Flughafenleitungsorgan erstellten Neuregelung der Entgeltordnung für den Flughafen Berlin-Tegel (Deutschland).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 2, 7, 9, 11 bis 13 und 15 der Richtlinie 2009/12 lauten:
„(1) Hauptaufgabe und Hauptgeschäftstätigkeit von Flughäfen ist es, die Abfertigung von Luftfahrzeugen von der Landung bis zum Start sowie von Fluggästen und Fracht zu gewährleisten, damit Luftfahrtunternehmen Luftverkehrsdienstleistungen erbringen können. Zu diesem Zweck bieten Flughäfen eine Reihe von Einrichtungen und Dienstleistungen für den Betrieb von Luftfahrzeugen sowie die Abfertigung von Fluggästen und Fracht an, deren Kosten sie im Allgemeinen durch die Erhebung von Flughafenentgelten decken. Flughafenleitungsorgane, die Einrichtungen und Dienste bereitstellen, für die Flughafenentgelte erhoben werden, sollten darum bemüht sein, kosteneffizient zu arbeiten.
(2) Es ist erforderlich, einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen, der die wesentlichen Merkmale von Flughafenentgelten und deren Festsetzung regelt, da in Ermangelung eines solchen Rahmens grundlegende Anforderungen in den Beziehungen zwischen den Flughafenleitungsorganen und den Flughafennutzern möglicherweise nicht eingehalten werden. Ein solcher Rahmen sollte die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt lassen, festzulegen, ob und inwieweit die Einnahmen aus den kommerziellen Tätigkeiten eines Flughafens bei der Festlegung der Flughafenentgelte berücksichtigt werden können.
…
(7) Anreize für die Erschließung neuer Strecken, die unter anderem der Entwicklung von benachteiligten Regionen und von Regionen in äußerster Ran...