Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geschmacksmuster. Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen. Zuständigkeit der nationalen Gerichte erster Instanz. Ausschließliche Zuständigkeit der in dieser Bestimmung benannten Gerichte
Normenkette
EGV 6/2002 Art. 90 Abs. 1
Beteiligte
Procureur-Generaal bij de Hoge Raad der Nederlanden |
Procureur-Generaal bij de Hoge Raad der Nederlanden |
Tenor
Art. 90 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten, die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen in Bezug auf ein nationales Musterrecht zuständig sind, auch für die Anordnung solcher Maßnahmen in Bezug auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster zuständig sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 2. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2018, in dem Verfahren
Procureur-Generaal bij de Hoge Raad der Nederlanden
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter) sowie der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Procureur-Generaal bij de Hoge Raad der Nederlanden, vertreten durch R. van Peursem als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. S. Schillemans und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier und A. Nijenhuis als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. September 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 90 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen einer vom Procureur-Generaal bij de Hoge Raad der Nederlanden (Generalstaatsanwalt beim Obersten Gerichtshof der Niederlande, im Folgenden: Generalstaatsanwalt) gegen ein Urteil des für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständigen Richters der Rechtbank Amsterdam (Gericht erster Instanz Amsterdam, Niederlande) vom 12. Januar 2017 eingelegten Kassationsbeschwerde im Interesse des Gesetzes betreffend die Bestimmung der zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen im Bereich von Gemeinschaftsgeschmacksmustern zuständigen Gerichte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Titel IX „Zuständigkeit und Verfahren für Klagen, die Gemeinschaftsgeschmacksmuster betreffen”) der Verordnung Nr. 6/2002 enthält einen Abschnitt 2 „Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsgeschmacksmuster”), der aus den Art. 80 bis 92 besteht.
Rz. 4
Art. 80 „Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte”) der Verordnung Nr. 6/2002 sieht in Abs. 1 vor:
„Die Mitgliedstaaten benennen für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz (Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte), die die ihnen durch diese Verordnung zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.”
Rz. 5
Art. 81 „Zuständigkeit für Verletzung und Rechtsgültigkeit”) der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:
„Die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte sind ausschließlich zuständig:
- für Klagen wegen Verletzung und – falls das nationale Recht dies zulässt – wegen drohender Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters;
- für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern, falls das nationale Recht diese zulässt;
- für Klagen auf Erklärung der Nichtigkeit eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters;
- für Widerklagen auf Erklärung der Nichtigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, die im Zusammenhang mit den unter Buchstabe a) genannten Klagen erhoben werden.”
Rz. 6
In Art. 90 „Einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen”) der Verordnung Nr. 6/2002 heißt es:
„(1) Bei den Gerichten eines Mitgliedstaats – einschließlich der Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte – können in Bezug auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster alle einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt werden, die in dem Recht dieses Staates für nationale Musterrechte vorgesehen sind, auch wenn für die Entscheidung in der Hauptsache aufgrund dieser Verordnung ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.
…
(3) Ein Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht, dessen Zuständigkeit auf Artikel 82 Absätze 1, 2, 3 oder 4 beruht, ist zuständig für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen, die vorbehaltlich eines gegebenenfalls erforderlichen Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens gemäß ...