Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Restriktive Maßnahmen gegen die Islamische Republik Iran zur Verhinderung der Verbreitung von Kernwaffen. Verordnung (EG) Nr. 423/2007. Art. 7 Abs. 3 und 4. Lieferung und Aufstellung eines Sinterofens im Iran. Begriff ‚mittelbares Zurverfügungstellen’ einer ‚wirtschaftlichen Ressource’ zugunsten einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung. Begriff ‚Umgehung’ des Verbots des Zurverfügungstellens
Beteiligte
Tenor
1. Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran ist dahin auszulegen, dass das Verbot der mittelbaren Zurverfügungstellung einer wirtschaftlichen Ressource im Sinne von Art. 1 Buchst. i dieser Verordnung Handlungen umfasst, die die Lieferung eines funktionstüchtigen, jedoch noch nicht verwendungsbereiten Sinterofens in den Iran und seine Aufstellung dort zugunsten eines Dritten betreffen, der im Namen, unter der Kontrolle oder auf Weisung einer in den Anhängen IV und V dieser Verordnung genannten Person, Organisation oder Einrichtung handelt und beabsichtigt, den Ofen zu nutzen, um zugunsten einer solchen Person, Organisation oder Einrichtung Produkte herzustellen, die zur Verbreitung von Kernwaffen in diesem Staat beitragen können.
2. Art. 7 Abs. 4 der Verordnung Nr. 423/2007 ist dahin auszulegen, dass
- er Aktivitäten erfasst, die unter dem Deckmantel einer Form vorgenommen werden, mit der eine Erfüllung des Tatbestands eines Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 3 dieser Verordnung vermieden wird, jedoch unmittelbar oder mittelbar bezwecken oder bewirken, das mit dieser Bestimmung aufgestellte Verbot auszuhebeln;
- die Begriffe „wissentlich” und „vorsätzlich” ein Wissens- und ein Wollenselement implizieren, die kumulativ erfüllt sein müssen, was dann der Fall ist, wenn die Person, die sich an einer Aktivität mit einem entsprechenden Zweck oder einer entsprechenden Wirkung beteiligt, diesen oder diese absichtlich anstrebt oder es zumindest für möglich hält, dass ihre Beteiligung diesen Zweck oder diese Wirkung hat, und dies billigend in Kauf nimmt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. Februar 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2011, in dem Strafverfahren gegen
Mohsen Afrasiabi,
Behzad Sahabi,
Heinz Ulrich Kessel
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter J. Malenovský, E. Juhász, G. Arestis und T. von Danwitz,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Oktober 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, vertreten durch R. Griesbaum, S. Morweiser und S. Heine als Bevollmächtigte,
- von Herrn Afrasiabi, vertreten durch Rechtsanwalt K. Aminyan,
- von Herrn Kessel, vertreten durch Rechtsanwalt T. Elsner,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. Ranaivoson als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, M. Konstantinidis und T. Scharf als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 423/2007 des Rates vom 19. April 2007 über restriktive Maßnahmen gegen Iran (ABl. L 103, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Afrasiabi, Herrn Sahabi und Herrn Kessel (im Folgenden zusammen: Angeschuldigte), die verdächtigt werden, gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 423/2007 verstoßen zu haben, indem sie sich an der Lieferung eines Keramiksinterofens aus Deutschland in den Iran und dessen Aufstellung dort beteiligt haben.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Um Druck auf die Islamische Republik Iran auszuüben, damit sie ihre mit der Gefahr einer Verbreitung von Kernwaffen einhergehenden nuklearen Tätigkeiten und die Entwicklung von Trägersystemen für Kernwaffen einstellt, verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 23. Dezember 2006 auf der Grundlage von Art. 41 in Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1737 (2006), mit der eine Reihe von restriktiven Maßnahmen gegen diesen Staat eingeführt wird.
Rz. 4
In den Ziff. 2 und 12 dieser Resolution heißt es, der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (VN)
„2. beschließt in diesem Zusammenhang, dass die Islamische Republik Iran ohne weitere Verzögerung die … proliferationsrelevanten nuklearen Tätigkeiten auszusetzen hat …
…
12. beschließt, das...