Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Besondere Zuständigkeit für Verfahren, die eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung zum Gegenstand haben. Veröffentlichung angeblich verunglimpfender Äußerungen über eine Person im Internet. Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs. Gerichte eines jeden Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die hochgeladenen Inhalte zugänglich sind oder waren
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 7 Nr. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine Person, die der Ansicht ist, dass ihre Rechte durch die Verbreitung verunglimpfender Äußerungen über sie im Internet verletzt worden seien, und die sowohl auf Richtigstellung der Angaben und Entfernung der sie betreffenden veröffentlichten Inhalte als auch auf Ersatz des durch diese Veröffentlichung entstandenen Schadens klagt, vor den Gerichten jedes Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet diese Äußerungen zugänglich sind oder waren, Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihr in dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts entstanden sein soll, selbst wenn diese Gerichte nicht für die Entscheidung über den Antrag auf Richtigstellung und Entfernung zuständig sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 13. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni 2020, in dem Verfahren
Gtflix Tv
gegen
DR
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten I. Jarukaitis und N. Jääskinen, der Richter T. von Danwitz und M. Safjan (Berichterstatter), der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter A. Kumin und N. Wahl,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Gtflix Tv, vertreten durch P. Spinosi, L. Chevallier und A. Michel, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und A. Daniel als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Chala, A. Dimitrakopoulou und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Gtflix Tv, einem Anbieter von Erwachsenenunterhaltung mit Sitz in der Tschechischen Republik, und DR, einem ebenfalls in diesem Bereich tätigen Unternehmer mit Wohnsitz in Ungarn, wegen einer Klage auf Richtigstellung und Entfernung von angeblich abfälligen Äußerungen, die gegen Getflix Tv gerichtet sind und die DR auf mehreren Websites und in Internetforen veröffentlicht haben soll, sowie wegen einer Klage auf Ersatz des durch diese Veröffentlichungen entstandenen Schadens.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Aus dem vierten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 geht hervor, dass sie darauf abzielt, im Interesse eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind.
Rz. 4
In den Erwägungsgründen 15 und 16 dieser Verordnung heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsst...