Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Besondere Zuständigkeiten im Fall einer unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder von Ansprüchen aus einer solchen Handlung. Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs. Verwendung einer Abschalteinrichtung bei einem Fahrzeug, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert. Kaufvertrag über dieses Fahrzeug, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnsitzstaat des Käufers und dem Sitzstaat des Herstellers geschlossen wurde. Übergabe und bestimmungsgemäßer Gebrauch des Fahrzeugs im Wohnsitzmitgliedstaat des Käufers
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 7 Nr. 2
Beteiligte
FCA Italy und FPT Industrial |
Tenor
Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist dahin auszulegen, dass
sich in einem Fall, in dem ein Fahrzeug, das von seinem Hersteller in einem ersten Mitgliedstaat mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet worden sein soll, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, Gegenstand eines in einem zweiten Mitgliedstaat abgeschlossenen Kaufvertrags war und dem Erwerber in einem dritten Mitgliedstaat übergeben wurde, der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs im Sinne dieser Bestimmung im letztgenannten Mitgliedstaat befindet.
Tatbestand
In der Rechtssache C-81/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 15. Dezember 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2023, in dem Verfahren
MA
gegen
FCA Italy SpA,
FPT Industrial SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin), des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von MA, vertreten durch Rechtsanwalt M. Poduschka,
- – der FPT Industrial SpA, vertreten durch Rechtsanwalt A. Wittwer,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und L. Wildpanner als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den MA, eine in Österreich ansässige Person, gegen die FCA Italy SpA sowie die FPT Industrial SpA, zwei italienische Gesellschaften, wegen der Haftung Letzterer für den Schaden führt, der sich daraus ergeben soll, dass in einem von MA gekauften Fahrzeug eine die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringernde Abschalteinrichtung verbaut ist.
Rechtlicher Rahmen
VerordnungNr.1215/2012
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 15 und 16 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:
„(15) Die Zuständigkeitsvorschriften sollten in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten. Diese Zuständigkeit sollte stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. …
(16) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten sollte durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind. Das Erfordernis der engen Verbindung soll Rechtssicherheit schaffen und verhindern, dass die Gegenpartei vor einem Gericht eines Mitgliedstaats verklagt werden kann, mit dem sie vernünftigerweise nicht rechnen konnte. Dies ist besonders wichtig bei Rechtsstreitigkeiten, die außervertragliche Schuldverhältnisse infolge der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte einschließlich Verleumdung betreffen.“
Rz. 4
Kapitel II („Zuständigkeit“) der Verordnung Nr. 1215/2012 enthält u. a. einen Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen“) und einen Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten“). Der zu Abschnitt 1 der Verordnung gehörende Art. 4 Abs. 1 bestimmt:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“
Rz. 5
In Art. 7 der Verordnung Nr. 1215/2012, der zu Abschnitt 2 ihres Kapitels II gehört, heißt es...