Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Urteil des Gerichtshofs, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird. Nationale Regelung, die für bestimmte Beschlüsse der Aktionäre der Volkswagen AG eine Sperrminorität von 20 % vorsieht
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Europäische Kommission trägt die Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 260 Abs. 2 AEUV, eingereicht am 21. Februar 2012,
Europäische Kommission, vertreten durch E. Montaguti und G. Braun als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch T. Henze, J. Schwarze, J. Möller und J. Kemper als Bevollmächtigte,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, E. Juhász, A. Borg Barthet, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça, der Richter A. Rosas, G. Arestis und A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. Vajda,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2013,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Mai 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Europäische Kommission beantragt mit ihrer Klage,
- festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV verstoßen hat, dass sie nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die sich aus dem Urteil vom 23. Oktober 2007, Kommission/Deutschland (C-112/05, Slg. 2007, I-8995), betreffend die Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 21. Juli 1960 (BGBl. I S. 585, und BGBl. III S. 641-1-1, im Folgenden: VW-Gesetz) ergeben;
- die Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, an die Kommission ab der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache bis zur Durchführung des erwähnten Urteils Kommission/Deutschland ein Zwangsgeld in Höhe von 282 725,10 Euro für jeden Tag des Verzugs bei der Durchführung dieses Urteils Kommission/Deutschland zu zahlen;
- die Bundesrepublik Deutschland zu verurteilen, an die Kommission einen Pauschalbetrag in Höhe des Produkts des Tagessatzes von 31 114,72 Euro und der Zahl der Tage der Fortdauer des Verstoßes von der Verkündung des erwähnten Urteils Kommission/Deutschland bis zur Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache oder der Beendigung des Verstoßes durch den Mitgliedstaat zu zahlen und
- der Bundesrepublik Deutschland die Kosten aufzuerlegen.
Vorgeschichte des Rechtsstreits und Urteil Kommission/Deutschland
Rz. 2
Als 1960 das VW-Gesetz erlassen wurde, waren der Bund und das Land Niedersachsen mit Beteiligungen von jeweils 20 % die beiden Hauptgesellschafter der Volkswagenwerk GmbH (im Folgenden: Volkswagen). In Anwendung des genannten Gesetzes wurde diese Gesellschaft mit beschränkter Haftung in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.
Rz. 3
Der Bund veräußerte seine Beteiligung in der Folge; das Land Niedersachsen hingegen hält nach wie vor eine Beteiligung von etwa 20 %.
Rz. 4
§ 2 Abs. 1 VW-Gesetz in der Fassung vor der Verkündung des Urteils Kommission/Deutschland bestimmte, dass sich das Stimmrecht eines Aktionärs, dem Aktien im Gesamtnennbetrag von mehr als dem fünften Teil des Grundkapitals gehörten, auf die Anzahl von Stimmen beschränkte, die Aktien im Gesamtnennbetrag des fünften Teils des Grundkapitals gewähren.
Rz. 5
In § 4 („Verfassung der Gesellschaft”) VW-Gesetz in der Fassung vor der Verkündung des Urteils Kommission/Deutschland hieß es:
„(1) Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen sind berechtigt, je zwei Aufsichtsratsmitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören.
…
(3) Beschlüsse der Hauptversammlung, für die nach dem Aktiengesetz eine Mehrheit erforderlich ist, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, bedürfen einer Mehrheit von mehr als vier Fünftel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals der Gesellschaft.”
Rz. 6
Der Gerichtshof hat in seinem Urteil Kommission/Deutschland in Nr. 1 des Tenors für Recht erkannt und entschieden:
„Die Bundesrepublik Deutschland hat dadurch, dass sie § 4 Abs. 1 sowie § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 3 [VW-Gesetz] beibehalten hat, gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 EG verstoßen.”
Rz. 7
Auf dieses Urteil hin erließ die Bundesrepublik Deutschland das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand vom 8. Dezember 2008 (im Folgenden: Gesetz zur Änder...