Entscheidungsstichwort (Thema)
Zollkodex, Zuwiderhandlung im Zuge einer TIR-Beförderung, Zuständigkeit für die Erhebung der Zollschuld
Leitsatz (amtlich)
1. Die Art. 454 und 455 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften sind dahin auszulegen, dass, wenn die Vermutung, dass für die Erhebung einer Zollschuld der Mitgliedstaat zuständig ist, in dessen Hoheitsgebiet eine Zuwiderhandlung im Zuge einer TIR-Beförderung festgestellt wurde, infolge eines Urteils, mit dem festgestellt wird, dass diese Zuwiderhandlung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begangen wurde, wegfällt, die Zollbehörden dieses letztgenannten Mitgliedstaats für die Erhebung der Zollschuld zuständig werden, wenn der der Zuwiderhandlung zugrunde liegende Sachverhalt innerhalb einer Frist von zwei Jahren Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens geworden ist, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem der Verband, der für das Hoheitsgebiet bürgt, in dem die Zuwiderhandlung festgestellt wurde, davon in Kenntnis gesetzt wurde.
2. Art. 455 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2454/93 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 des am 14. November 1975 in Genf unterzeichneten Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR ist dahin auszulegen, dass sich ein bürgender Verband unter Umständen wie denen der Ausgangsrechtssache nicht auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Verjährungsfrist berufen kann, wenn ihm die Zollbehörden des Mitgliedstaats, für dessen Hoheitsgebiet er haftet, innerhalb eines Jahres ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von einem vollstreckbaren Urteil, demzufolge sie zuständig sind, in Kenntnis gesetzt wurden, den Sachverhalt mitteilen, der zur Entstehung der Zollschuld geführt hat, die er in Höhe der von ihm garantierten Summe zu begleichen hat.
Normenkette
EWGV 2454/93 Art. 454-455
Beteiligte
Asociación de Transporte Internacional por Carretera (ASTIC) |
Administración General del Estado |
Verfahrensgang
Tribunal Supremo (Spanien) (Urteil vom 28.09.2009; Abl.EU 2010, Nr. C 63/21) |
Tatbestand
„TIR-Übereinkommen ‐ Zollkodex der Gemeinschaften ‐ Beförderung mit Carnet TIR ‐ Bürgender Verband ‐ Keine ordnungsgemäße Erledigung ‐ Bestimmung des Orts der Zuwiderhandlung ‐ Erhebung der Einfuhrabgaben“
In der Rechtssache C-488/09
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal Supremo (Spanien) mit Entscheidung vom 28. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2009, in dem Verfahren
Asociación de Transporte Internacional por Carretera (ASTIC)
gegen
Administración General del Estado
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Asociación de Transporte Internacional por Carretera (ASTIC), vertreten durch C. García Rubio, procuradora, und R. Machado Salazar de Frías, abogado,
‐ der spanischen Regierung, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo als Bevollmächtigten,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann, J. Baquero Cruz und A. Caeiros als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von verschiedenen Bestimmungen des Zollrechts der Union sowie des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR vom 14. November 1975 (im Folgenden: TIR-Übereinkommen), das im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch die Verordnung (EWG) Nr. 2112/78 des Rates vom 25. Juli 1978 (ABl. L 252, S. 1) genehmigt wurde und am 20. Juni 1983 in Kraft trat.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Asociación de Transporte Internacional por Carretera (im Folgenden: ASTIC) und der Administración General del Estado (Allgemeine Verwaltung des Staates) über die Erhebung einer Zollschuld, die durch die rechtswidrige Entladung einer Fracht Zigaretten in Spanien entstanden ist.
Rechtlicher Rahmen
Das TIR-Übereinkommen
Rz. 3
Das TIR-Übereinkommen sieht u. a. vor, dass für Waren, die im TIR-Verfahren befördert werden, das durch dieses Übereinkommen geregelt wird, eine Entrichtung oder Hinterlegung von Eingangs- oder Ausgangsabgaben bei den Durchgangszollstellen nicht gefordert wird.
Rz. 4
Art. 11 des TIR-Übereinkommens lautet:
„(1) Ist ein Carnet TIR nicht oder unter Vorbehalt erledigt worden, so können die zuständigen Behörden vom bürgenden Verband die Entrichtung der in Artikel 8 Absätze 1 und 2 genannten Beträge nur verlangen, wenn sie dem bürgenden Verband innerhalb eines Jahres nach der Annahme des Carnet TIR durch die Zollbehörden die Nichterledigung oder ...