Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Asylpolitik. Subsidiärer Schutz. Aberkennung des subsidiären Schutzstatus. Irrtum der Verwaltung über die tatsächlichen Umstände
Normenkette
Richtlinie 2011/95/EU Art. 19
Beteiligte
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl |
Tenor
Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat den subsidiären Schutzstatus aberkennen muss, wenn er diesen Status zuerkannt hat, ohne dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt waren, indem er sich auf Tatsachen stützte, die sich in der Folge als unzutreffend erwiesen haben, und obgleich der betroffenen Person nicht vorgeworfen werden kann, sie habe den Mitgliedstaat bei dieser Gelegenheit irregeführt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 14. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Dezember 2017, in dem Verfahren
Mohammed Bilali
gegen
Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- von Herrn Bilali, vertreten durch Rechtsanwältin N. Lorenz,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und G. Tornyai als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. H. S. Gijzen und M. K. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Fadoju als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Januar 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Mohammed Bilali und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) wegen der Aberkennung des Herrn Bilali gewährten Status des subsidiär Schutzberechtigten.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Das am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichnete Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 137, Nr. 2545 [1954]) trat am 22. April 1954 in Kraft. Es wurde ergänzt und geändert durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 4. Oktober 1967 in Kraft trat (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention).
Rz. 4
Art. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert zunächst in Abschnitt A u. a. den Begriff „Flüchtling” und sieht sodann in Abschnitt C vor:
„Eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A zutreffen, fällt nicht mehr unter dieses Abkommen,
- wenn sie sich freiwillig erneut dem Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, unterstellt; oder
- wenn sie nach dem Verlust ihrer Staatsangehörigkeit diese freiwillig wiedererlangt hat; oder
- wenn sie eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Landes, dessen Staatsangehörigkeit sie erworben hat, genießt; oder
- wenn sie freiwillig in das Land, das sie aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder außerhalb dessen sie sich befindet, zurückgekehrt ist und sich dort niedergelassen hat; oder
wenn sie nach Wegfall der Umstände, auf Grund deren sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt.
Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigke...