Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Vervielfältigung. Ausnahme für Privatkopien. Begriff ,auf beliebigen Trägern’. Server, die im Besitz dritter Personen stehen und natürlichen Personen zum privaten Gebrauch zur Verfügung gestellt werden. Gerechter Ausgleich. Nationale Regelung, nach der die Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen nicht der Abgabe für Privatkopien unterliegen
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 2, 5 Abs. 2 Buchst. b
Beteiligte
Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH |
Tenor
1. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass der Ausdruck „Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern” im Sinne dieser Bestimmung die Erstellung von Sicherungskopien urheberrechtlich geschützter Werke zu privaten Zwecken auf einem Server umfasst, auf dem der Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt.
2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 ist dahin auszulegen, dass er der Umsetzung der Ausnahme im Sinne dieser Bestimmung durch eine nationale Regelung, nach der die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, die natürliche Personen, die diese Dienste nutzen, ohne Erlaubnis von urheberrechtlich geschützten Werken zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke erstellen, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an die Rechtsinhaber vorsieht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 7. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. September 2020, in dem Verfahren
Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH
gegen
Strato AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin) sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: V. Giacobbo, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Walter,
- der Strato AG, vertreten durch Rechtsanwälte A. Anderl und B. Heinzl,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll, G. Kunnert und M. Reiter als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch M. Wolff, V. Jørgensen und J. Nymann-Lindegren als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier, A. Daniel und A.-L. Desjonquères als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Scharf, G. von Rintelen und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. September 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte Gesellschaft mbH (im Folgenden: Austro-Mechana), einer Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte, und der Strato AG, einer Anbieterin von Dienstleistungen zur Speicherung in der Cloud, wegen der urheberrechtlichen Abgabe, die Letztere für die von ihr erbrachten Dienstleistungen schuldet.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 5, 21, 31, 35 und 38 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(2) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung in Korfu am 24. und 25. Juni 1994 die Notwendigkeit der Schaffung eines allgemeinen und flexiblen Ordnungsrahmens auf Gemeinschaftsebene für die Förderung der Entwicklung der Informationsgesellschaft in Europa hervorgehoben. Hierzu ist unter anderem ein Binnenmarkt für neue Produkte und Dienstleistungen erforderlich. Wichtige gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen, mit denen ein derartiger Ordnungsrahmen sichergestellt werden sollte, wurden bereits eingeführt, in an...