Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 75/442/EWG. Abfallbewirtschaftung. Abfallbegriff. Verursacherprinzip. Besitzer. Frühere Besitzer. Hersteller des Erzeugnisses, von dem die Abfälle herrühren. Kohlenwasserstoffe und Schweröl. Havarie. Internationales Übereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden. IOPCF
Beteiligte
Tenor
1. Ein Stoff wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nämlich als Brennstoff verkauftes Schweröl, ist kein Abfall im Sinne der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle in der durch die Entscheidung 96/350/EG der Kommission vom 24. Mai 1996 geänderten Fassung, sofern er unter wirtschaftlich vorteilhaften Umständen genutzt oder vermarktet wird und tatsächlich ohne eine vorherige Bearbeitung als Brennstoff verwendet werden kann.
2. Kohlenwasserstoffe, die nach einer Havarie unabsichtlich ins Meer ausgebracht worden sind, sich mit Wasser sowie mit Sedimenten vermischen, an der Küste eines Mitgliedstaats entlangtreiben und schließlich dort an Land geschwemmt werden, sind Abfälle im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 75/442 in der durch die Entscheidung 96/350 geänderten Fassung, da sie nicht ohne vorherige Bearbeitung genutzt oder verarbeitet werden können.
3. Für die Anwendung von Art. 15 der Richtlinie 75/442 in der durch die Entscheidung 96/350 geänderten Fassung auf das unabsichtliche Ausbringen von Kohlenwasserstoffen ins Meer, die eine Verunreinigung der Küsten eines Mitgliedstaats verursachen, gilt Folgendes:
- Das nationale Gericht kann den Verkäufer dieser Kohlenwasserstoffe und den Befrachter des Schiffes, das diese befördert, als Erzeuger dieser Abfälle im Sinne von Art. 1 Buchst. b der Richtlinie 75/442 und damit als früheren Besitzer im Sinne von Art. 15 zweiter Gedankenstrich erste Alternative dieser Richtlinie ansehen, wenn es aufgrund des Sachverhalts, dessen Würdigung nur ihm zukommt, zu der Schlussfolgerung gelangt, dass dieser Verkäufer-Befrachter zu der Gefahr einer Verschmutzung, wie sie durch die Havarie eingetreten ist, beigetragen hat, insbesondere wenn er es versäumt hat, Maßnahmen zur Verhütung eines solchen Ereignisses, z. B. durch die Auswahl des Schiffes, zu treffen.
- Wenn sich herausstellt, dass die Kosten für die Beseitigung von Abfällen, die von einem unabsichtlichen Ausbringen von Kohlenwasserstoffen ins Meer herrühren, vom Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden nicht übernommen werden oder nicht übernommen werden können, weil der für diesen Schadensfall vorgesehene Entschädigungshöchstbetrag ausgeschöpft ist, und das nationale Recht eines Mitgliedstaats – einschließlich des Rechts, das auf völkerrechtlichen Übereinkommen beruht – durch Haftungsbeschränkungen und/oder -befreiungen verhindert, dass diese Kosten von dem Eigentümer und/oder Befrachter des Schiffes getragen werden, obwohl diese als „Besitzer” im Sinne des Art. 1 Buchst. c der Richtlinie 75/442 anzusehen sind, muss das betreffende nationale Recht, um eine mit Art. 15 dieser Richtlinie vereinbare Umsetzung zu gewährleisten, die Möglichkeit vorsehen, dass die fraglichen Kosten von dem Hersteller des Erzeugnisses, von dem die auf diese Weise ins Meer ausgebrachten Abfälle herrühren, getragen werden. Allerdings darf ein solcher Hersteller gemäß dem Verursacherprinzip nur dann zur Tragung dieser Kosten verpflichtet werden, wenn er durch sein Handeln zu der Gefahr einer Verschmutzung, wie sie durch das Schiffsunglück eingetreten ist, beigetragen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 28. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2007, in dem Verfahren
Commune de Mesquer
gegen
Total France SA,
Total International Ltd
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer C. W. A. Timmermans in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidenten A. Rosas, K. Lenaerts und L. Bay Larsen, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter K. Schiemann, P. Kūris, E. Levits und A. Ó Caoimh, der Richterin P. Lindh, der Richter J.-C. Bonichot und T. von Danwitz sowie der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Januar 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Commune de Mesquer, vertreten durch C. Lepage und A. Moustardier, avocats,
- der Total France SA und der Total International Ltd, vertreten durch J.-P. Hordies, C. Smits, M. Memlouk, J. Boivin, E. Fontaine und F.-H. Briard, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A.-L. During als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bev...