Entscheidungsstichwort (Thema)
Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren, Cotonou-Abkommen, EUR.1-Bescheinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 889 Abs. 1 Unterabs. 1 zweiter Gedankenstrich der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft in der zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einem Antrag auf Erstattung von Abgaben nicht entgegensteht, wenn bei der Überführung der Waren in den zollrechtlich freien Verkehr eine Präferenzregelung beantragt und gewährt worden ist und die Behörden des Einfuhrstaats erst später ‐ im Rahmen einer nachträglichen Überprüfung, die durchgeführt wurde, nachdem die Präferenzregelung ausgelaufen und der normalerweise anwendbare Zollsatz wieder eingeführt worden war ‐ den Differenzbetrag zum Drittlandszollsatz nacherhoben haben.
2. Die Art. 16 Abs. 1 Buchst. b und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichneten Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, im Namen der Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 2003/159/EG des Rates vom 19. Dezember 2002, sind dahin auszulegen, dass die Zollbehörden des Einfuhrstaats, wenn sich bei einer nachträglichen Prüfung herausstellt, dass auf einer Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 ein nicht mit dem von den Behörden des Ausfuhrstaats übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck angebracht wurde, anstelle der Einleitung des Verfahrens nach Art. 32 des Protokolls Nr. 1 diese Bescheinigung zurückweisen und dem Einführer zurückgeben können, damit er auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 Buchst. b des Protokolls Nr. 1 die nachträgliche Ausstellung einer Bescheinigung beantragen kann.
3. Art. 16 Abs. 4 und 5 sowie Art. 32 des Protokolls Nr. 1 sind dahin auszulegen, dass die Behörden eines Einfuhrstaats sich nicht weigern dürfen, eine Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 als nachträglich ausgestellte Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 im Sinne von Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 zu akzeptieren, wenn sie zwar in allen übrigen Teilen den Anforderungen des Protokolls Nr. 1 entspricht, im Feld „Bemerkungen“ aber nicht den in Art. 16 Abs. 4 genannten Vermerk, sondern einen Hinweis enthält, der letztlich dahin zu verstehen ist, dass die Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 gemäß Art. 16 Abs. 1 des Protokolls Nr. 1 ausgestellt wurde. Bei Zweifeln an der Echtheit der fraglichen Unterlagen oder der Ursprungseigenschaft der betreffenden Waren haben diese Behörden das in Art. 32 des Protokolls Nr. 1 vorgesehene Nachprüfungsverfahren einzuleiten.
Normenkette
EWGV 2454/93 Art. 889 Abs. 1; Cotonou-Abkommen Anhang V Prot. Nr. 1 Art. 16 Abs. 1, 4, Art. 32
Beteiligte
Verfahrensgang
Tatbestand
„Zollunion und Gemeinsamer Zolltarif ‐ Präferenzregelung für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans (AKP) ‐ Art. 16 und 32 des Protokolls Nr. 1 zu Anhang V des Cotonou-Abkommens ‐ Einfuhr synthetischer Spinnfasern aus Nigeria in die Europäische Union ‐ Unregelmäßigkeiten in der von den zuständigen Behörden des Ausfuhrstaats ausgestellten Warenverkehrsbescheinigung EUR.1 ‐ Nicht mit dem der Kommission übermittelten Musterabdruck übereinstimmender Stempelabdruck ‐ Nachträgliche Bescheinigungen und Ersatzbescheinigungen ‐ Zollkodex der Gemeinschaft ‐ Art. 220 und 236 ‐ Möglichkeit der nachträglichen Anwendung eines zum Zeitpunkt des Erstattungsantrags nicht mehr gültigen Präferenzzollsatzes ‐ Voraussetzungen“
In der Rechtssache C-175/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. April 2012, in dem Verfahren
Sandler AG
gegen
Hauptzollamt Regensburg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zehnten Kammer E. Juhász in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Rosas und C. Vajda (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Sandler AG, vertreten durch Steuerberater H.-M. Wolffgang sowie durch die Rechtsanwältinnen N. Harksen und R. Hannemann-Kacik,
‐ des Hauptzollamts Regensburg, vertreten durch M. Brandl und C. Stephan als Bevollmächtigte,
‐ der Hellenischen Republik, vertreten durch F. Dedousi als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Keppenne und B.-R. Killma...