Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerbefreiung, Glücksspiele mit Geldeinsatz, Geldspielautomaten, Bemessungsgrundlage, Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer, Anrechnung von Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele kumulativ erhoben werden dürfen, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat.
2. Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift oder Praxis, wonach beim Betrieb von Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit die Höhe der Kasseneinnahmen dieser Automaten nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wird, nicht entgegenstehen.
3. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er einer innerstaatlichen Regelung, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird, nicht entgegensteht.
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 401, 1 Abs. 2, Art. 73
Beteiligte
Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) |
Finanzamt Hamburg-Bergedorf |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Steuerrecht ‐ Mehrwertsteuer ‐ Glücksspiele mit Geldeinsatz ‐ Regelung eines Mitgliedstaats, nach der auf den Betrieb von Geldspielautomaten mit begrenzter Gewinnmöglichkeit kumulativ Mehrwertsteuer und eine Sonderabgabe erhoben werden ‐ Zulässigkeit ‐ Bemessungsgrundlage ‐ Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer“
In der Rechtssache C-440/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. September 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Oktober 2012, in dem Verfahren
Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)
gegen
Finanzamt Hamburg-Bergedorf
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), vertreten durch Rechtsanwalt B. Hansen,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und A. Cordewener als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2, Art. 73, Art. 135 Abs. 1 Buchst. i und Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (im Folgenden: Metropol) und dem Finanzamt Hamburg-Bergedorf (im Folgenden: Finanzamt) über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Einnahmen aus der Veranstaltung von Glücksspielen mit Hilfe von Geldspielautomaten mit begrenzter Gewinnmöglichkeit (im Folgenden: Spielgeräte oder Geldspielgeräte).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
Rz. 3
Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet hat.
…“
Rz. 4
Art. 73 dieser Richtlinie lautet:
„Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.“
Rz. 5
Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
i) Wetten, Lotterien und sonstige Glück...