Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten. Projekt, das der Prüfung unterzogen wird. Europäisches Übereinkommen über die Hauptstraßen des internationalen Verkehrs (AGR). Ausbau einer vierspurigen Straße auf einer Länge von weniger als 10 km
Normenkette
Richtlinie 2011/92/EU
Beteiligte
Bund Naturschutz in Bayern und Wilde |
Bund Naturschutz in Bayern e. V |
Tenor
1. Anhang I Nr. 7 Buchst. c der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten kann nicht dahin ausgelegt werden, dass diese Bestimmung für ein Straßenausbauprojekt gilt, das zwar wie im Ausgangsverfahren einen Teilabschnitt von weniger als 10 km Länge betrifft, aber im Ausbau einer bestehenden vier- oder mehrspurigen Straße besteht.
2. Anhang I Nr. 7 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 ist dahin auszulegen, dass „Schnellstraßen” im Sinne dieser Bestimmung Straßen mit den technischen Merkmalen der in Anlage II Nr. II. 3 des am 15. November 1975 in Genf unterzeichneten Europäischen Übereinkommens über die Hauptstraßen des internationalen Verkehrs (AGR) enthaltenen Begriffsbestimmung sind, auch wenn sie nicht zum Netz der Hauptstraßen des internationalen Verkehrs im Sinne dieses Übereinkommens gehören oder im Stadtgebiet liegen.
3. Der Begriff „Bau” im Sinne von Anhang I Nr. 7 Buchst. b der Richtlinie 2011/92 ist dahin auszulegen, dass er sich auf die Errichtung zuvor nicht bestehender Bauwerke oder die Veränderung, im materiellen Sinne, bereits bestehender Werke bezieht. Um zu beurteilen, ob eine solche Veränderung aufgrund ihres Umfangs und ihrer Modalitäten einem solchen Bau gleichgestellt werden kann, hat das vorlegende Gericht sämtliche Merkmale des betreffenden Werkes und nicht nur seine Länge oder die Beibehaltung seiner ursprünglichen Trasse zu berücksichtigen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Oktober 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Dezember 2015, in dem Verfahren
Bund Naturschutz in Bayern e. V.,
Harald Wilde
gegen
Freistaat Bayern,
Beteiligte:
Stadt Nürnberg,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Kammerpräsidenten sowie der Richter A. Arabadjiev und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Bund Naturschutz in Bayern e. V. und von Harald Wilde, vertreten durch Rechtsanwalt A. Lehners,
- des Freistaats Bayern, vertreten durch Oberlandesanwalt A. Meyer und Rechtsanwalt W. Durner,
- der Stadt Nürnberg, vertreten durch Rechtsanwalt U. Hösch,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und C. Zadra als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 2012, L 26, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Bund Naturschutz in Bayern e. V. und Herrn Harald Wilde einerseits und dem Freistaat Bayern (Deutschland) andererseits über die Rechtmäßigkeit des ohne vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung ergangenen Beschlusses des Freistaats Bayern, den Ausbau bestimmter Abschnitte einer Straße im Stadtgebiet von Nürnberg (Deutschland) zu genehmigen.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2011/92
Rz. 3
Nach ihrem ersten Erwägungsgrund soll mit der Richtlinie 2011/92 die mehrfach und in wesentlichen Punkten geänderte Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. 1985, L 175, S. 40) kodifiziert werden.
Rz. 4
Überdies enthält die Richtlinie 2011/92 u. a. folgende Erwägungsgründe:
„…
(8) Projekte bestimmter Klassen haben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt und sollten grundsätzlich einer systematischen Prüfung unterzogen werden.
(9) Projekte anderer Klassen haben nicht unter allen Umständen zwangsläufig erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt; sie sollten einer Prüfung unterzogen werden, wenn sie nach Auffassung der Mitgliedstaaten möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben.
…”
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Projekte des Anhangs I werden vorbehaltlich des Artikels 2 Absatz 4 einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen.
(2) Bei Projekten des Anhangs II bestimmen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich des Artikels 2 ...