Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge. Anwendbarkeit. Vertrag, der in einem Mitgliedstaat für eine Beschäftigung bei einer in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Gesellschaft geschlossen wurde. Keine Arbeitsleistung während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses. Ausschluss der Anwendung nationaler Zuständigkeitsregeln. Begriff ‚Ort, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet’. Arbeitsvertrag. Erfüllungsort des Vertrags. Verpflichtungen des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Kapitel II Abschn. 5, Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i
Beteiligte
Tenor
1. Die Bestimmungen in Kapitel II Abschnitt 5 („Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge”) der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass sie auf eine Klage eines Arbeitnehmers mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat gegen einen Arbeitgeber mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat anzuwenden sind, wenn der Arbeitsvertrag im Wohnsitzmitgliedstaat des Arbeitnehmers ausgehandelt und geschlossen wurde und vorsah, dass sich der Ort für die Erbringung der Arbeitsleistung im Mitgliedstaat des Arbeitgebers befindet, auch wenn diese Arbeit aus einem dem Arbeitgeber zuzurechnenden Grund nicht verrichtet worden ist.
2. Die Bestimmungen in Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung Nr. 1215/2012 sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung nationaler Zuständigkeitsvorschriften auf eine Klage wie die in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils angeführte unabhängig davon, ob sich diese Regeln als für den Arbeitnehmer vorteilhafter erweisen, entgegenstehen.
3. Art. 21 Abs. 1 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass eine Klage wie die in Nr. 1 des Tenors des vorliegenden Urteils angeführte unbeschadet von Art. 7 Nr. 5 dieser Verordnung bei dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gemäß dem Arbeitsvertrag den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber zu erfüllen hatte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Salzburg (Österreich) mit Entscheidung vom 23. Oktober 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2019, in dem Verfahren
BU
gegen
Markt24 GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Markt24 GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt G. Herzog,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und I. Gavrilová als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Heller als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Oktober 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Nr. 1 und Art. 21 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen BU, einer natürlichen Person mit Wohnsitz in Österreich, und der Markt24 GmbH, einer Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Unterschleißheim im Landkreis München (Deutschland) wegen ausständiger Lohnzahlungen, aliquoter Sonderzahlungen sowie Urlaubsersatzleistung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 14 und 18 der Verordnung Nr. 1215/2012 lauten:
„(14) …
Allerdings sollten einige Zuständigkeitsvorschriften in dieser Verordnung unabhängig vom Wohnsitz des Beklagten gelten, um den Schutz … der Arbeitnehmer zu gewährleisten, um die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Fällen zu schützen, in denen sie ausschließlich zuständig sind, und um die Parteiautonomie zu achten.
…
(18) Bei … Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.”
Rz. 4
Kapitel II dieser Verordnung betrifft die gerichtliche Zuständigkeit. Abschnitt 1 („Allgemeine Bestimmungen”) dieses Kapitels umfasst die Art. 4 bis 6.
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats h...