Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Pflicht der Kreditinstitute zur Meldung verdächtiger Finanztransaktionen. Institut, das im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs tätig ist. Bestimmung der zur Sammlung von Informationen zuständigen nationalen zentralen Meldestelle. Hemmnis für den freien Dienstleistungsverkehr. Zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 2005/60/EG Art. 22 Abs. 2; AEUV Art. 56
Beteiligte
Administración del Estado |
Tenor
Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die von Kreditinstituten verlangt, dass sie die zur Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung erbetenen Auskünfte unmittelbar der zentralen Meldestelle dieses Mitgliedstaats übermitteln, wenn diese Institute ihre Tätigkeiten im Inland im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs ausüben, sofern diese Regelung nicht die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie und des Beschlusses 2000/642/JI des Rates vom 17. Oktober 2000 über Vereinbarungen für eine Zusammenarbeit zwischen den zentralen Meldestellen der Mitgliedstaaten beim Austausch von Informationen beeinträchtigt.
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, wenn sie geeignet ist, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist, und wenn sie in nichtdiskriminierender Weise angewandt wird; dies zu überprüfen, ist Sache des nationalen Gerichts, das dabei folgende Erwägungen zu berücksichtigen hat:
- eine solche Regelung ist geeignet, das Ziel der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu erreichen, wenn sie dem betreffenden Mitgliedstaat ermöglicht, verdächtige Finanztransaktionen von Kreditinstituten, die ihre Dienstleistungen im Inland erbringen, zu überwachen und wirksam zu unterbinden sowie gegebenenfalls gegen die Verantwortlichen vorzugehen und diese zu bestrafen;
- die durch diese Regelung geschaffene Verpflichtung der Kreditinstitute, die ihre Tätigkeiten im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs erbringen, kann in angemessenem Verhältnis zur Verfolgung dieses Ziels stehen, wenn zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt ein wirksamer Mechanismus fehlt, der eine vollständige und lückenlose Zusammenarbeit der zentralen Meldestellen gewährleistet.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Spanien) mit Entscheidung vom 21. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Mai 2011, in dem Verfahren
Jyske Bank Gibraltar Ltd
gegen
Administración del Estado
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász, J. Malenovský und D. Šváby (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Jyske Bank Gibraltar Ltd, vertreten durch M. Rubio de Casas, J. M. Olivares Blanco und J. de la Calle y Peral, abogados, sowie D. Bufalá Balmaseda, procurador,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González und N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch N. Rouam und G. de Bergues als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Urbani Neri, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Czech und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch R. H. Radu, A. Wellman und R. Nitu als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz, E. Traversa, S. La Pergola und C. Vrignon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Oktober 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (ABl. L 309, S. 15).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Jyske Bank Gibraltar Ltd (im Folgenden: Jyske), eines in Spanien im Rahmen des freien Dienstleistungsverkehrs tätigen Kreditinstituts mit Sitz in Gibra...