Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 96/62/EG. Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität. Festlegung der Grenzwerte. Recht eines in seiner Gesundheit beeinträchtigten Dritten auf Erstellung eines Aktionsplans
Beteiligte
Tenor
1. Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 ist dahin auszulegen, dass unmittelbar betroffene Einzelne im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können müssen, auch wenn sie nach nationalem Recht über andere Handlungsmöglichkeiten verfügen sollten, um diese Behörden dazu zu bringen, Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung zu treffen.
2. Den Mitgliedstaaten obliegt – unter der Aufsicht der nationalen Gerichte – nur die Verpflichtung, im Rahmen eines Aktionsplans und kurzfristig Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Gefahr der Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände und aller betroffenen Interessen auf ein Minimum zu verringern und schrittweise zu einem Stand unterhalb dieser Werte oder Schwellen zurückzukehren.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. März 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2007, in dem Verfahren
Dieter Janecek
gegen
Freistaat Bayern
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter L. Bay Larsen, K. Schiemann, J. Makarczyk und J.-C. Bonichot (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juni 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Janecek, vertreten durch Rechtsanwalt R. Klinger,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. De Grave als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Erlbacher, A. Alcover San Pedro und D. Recchia als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27. September 1996 über die Beurteilung und die Kontrolle der Luftqualität (ABl. L 296, S. 55) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. L 284, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 96/62).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Janecek und dem Freistaat Bayern über einen Antrag, den Freistaat Bayern zur Aufstellung eines Aktionsplans zur Luftreinhaltung im Bereich der Landshuter Allee in München, wo der Betroffene wohnt, zu verpflichten, der kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen zu dem Zweck festlegt, die gemeinschaftsrechtlich zugelassene Grenze für Emissionen von Feinstaubpartikeln PM10 in die Luft einzuhalten.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie 96/62 lautet:
„Zum Schutz der Umwelt insgesamt und der menschlichen Gesundheit müssen die Mitgliedstaaten bei Überschreiten der Grenzwerte Maßnahmen ergreifen, damit diese Grenzwerte binnen der festgelegten Fristen eingehalten werden.”
Rz. 4
Anhang I der Richtlinie 96/62 enthält eine Liste der bei der Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität zu berücksichtigenden Luftschadstoffe. In Nr. 3 dieser Liste sind „Feinpartikel wie Ruß (einschließlich PM 10)” verzeichnet.
Rz. 5
Art. 7 der Richtlinie 96/62 („Verbesserung der Luftqualität [-] Allgemeine Anforderungen”) bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen.
…
(3) Die Mitgliedstaaten erstellen Aktionspläne, in denen die Maßnahmen angegeben werden, die im Fall der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte und/oder der Alarmschwellen kurzfristig zu ergreifen sind, um die Gefahr der Überschreitung zu verringern und deren Dauer zu beschränken. …”
Rz. 6
Art. 8 dieser Richtlinie („Maßnahmen für Gebiete, in denen die Werte die Grenzwerte überschreiten”) lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten erstellen die Liste der Gebiete und Ballungsräume, in denen die Werte eines oder mehrerer Schadstoffe die Summe von Grenzwert und Toleranzmarge überschreiten.
Gibt es für einen bestimmten Schadstoff keine Toleranzmarge, so werden die Gebiete und Ballungsräume, in denen der Wert dieses Schadstoffs den Grenzwert überschreitet, wie die Gebiete und Ballungsräume des ...