Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsmittel. Wettbewerb. Sodamarkt in der Gemeinschaft. Kartell. Verletzung der Verteidigungsrechte. Akteneinsicht. Anhörung des Unternehmens

 

Beteiligte

Solvay / Kommission

Europäische Kommission

Solvay SA

 

Tenor

1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Dezember 2009, Solvay/Kommission (T-58/01), wird aufgehoben.

2. Die Entscheidung 2003/5/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag (COMP/33.133 – B: Natriumkarbonat – Solvay, CFK) wird für nichtig erklärt.

3. Die Europäische Kommission trägt die Kosten beider Rechtszüge.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 26. Februar 2010,

Solvay SA mit Sitz in Brüssel (Belgien), Prozessbevollmächtigte: P. Foriers, R. Jafferali, F. Louis und A. Vallery, avocats,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch J. Currall und F. Castillo de la Torre als Bevollmächtigte im Beistand von N. Coutrelis, avocate, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot und U. Lotilde;hmus, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Levits, A. Ó Caoimh, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, A. Arabadjiev und E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2011,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. April 2011

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Solvay SA (im Folgenden: Solvay) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 17. Dezember 2009, Solvay/Kommission (T-58/01, Slg. 2009, II-4781, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem das Gericht ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 2003/5/EG der Kommission vom 13. Dezember 2000 in einem Verfahren nach Artikel 81 EG-Vertrag (COMP/33.133 – B: Natriumkarbonat – Solvay, CFK) (ABl. 2003, L 10, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat; hilfsweise beantragt die Rechtsmittelführerin die Aufhebung oder Herabsetzung der gegen sie verhängten Geldbuße.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

Rz. 2

Solvay ist ein großes Chemieunternehmen. Der Unternehmensgründer Ernest Solvay erfand ein Verfahren zur synthetischen Herstellung von Soda (Natriumkarbonat), einem Stoff, der hauptsächlich für die Glasherstellung verwendet wird. Soda wird auch in der chemischen Industrie für die Herstellung von Waschmitteln und in der Metallbearbeitung verwendet.

Rz. 3

Gegen 1870 erteilte Solvay der Brunner, Mond & Co., einer der Gesellschaften, die ursprünglich die Imperial Chemical Industries (im Folgenden: ICI) bildeten, eine Herstellungslizenz. Solvay und Brunner, Mond & Co. teilten ihre Einflussbereiche untereinander auf („Alkali Kartell”), wobei Solvay auf dem europäischen Kontinent tätig war, Brunner, Mond & Co. hingegen auf den britischen Inseln, im britischen Commonwealth und in weiteren Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas. Die ursprüngliche Absprache wurde mehrfach erneuert, u. a. im Jahr 1945.

Rz. 4

Ende der 1980er-Jahre war Solvay der hauptsächliche Hersteller von Soda sowohl in der Europäischen Gemeinschaft – mit einem Marktanteil von 60 % – als auch weltweit. ICI war der zweitgrößte Hersteller von Soda. Danach kamen vier kleine Hersteller, nämlich Rhône-Poulenc, Akzo, Matthes & Weber und Chemische Fabrik Kalk (im Folgenden: CFK).

Rz. 5

In den Vereinigten Staaten wurde natürliche Soda abgebaut. Die Gewinnungskosten dafür waren niedriger als für künstliche Soda, aber es mussten die Transportkosten hinzugerechnet werden. Die Gemeinschaftsunternehmen waren einige Jahre lang durch Antidumpingmaßnahmen geschützt, doch diese waren gerade in der Überprüfung begriffen, als die streitigen Verfahren von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingeleitet wurden. Es bestand nämlich die Möglichkeit, dass das Dumping nicht mehr erwiesen war.

Rz. 6

Auch die Hersteller aus den osteuropäischen Ländern stellten eine Konkurrenz dar, allerdings nur in Bezug auf geringe Sodamengen. Die Einfuhren aus diesen Ländern waren ebenfalls Gegenstand von Antidumpingmaßnahmen.

Rz. 7

Auf dem Gemeinschaftsmarkt konnten eine Einflussbereichsaufteilung zwischen Solvay und ICI sowie eine Abschottung der nationalen Märkte mit erheblichen Preisunterschieden festgestellt werden.

Rz. 8

Da die Kommission das Bestehen von Absprachen zwischen den verschiedenen Herstellerunternehmen der Gemeinschaft vermutete, führte sie Anfang 1989 Nachprüfungen bei den hauptsächlichen Sodaherstellern durch und ließ sich zahlreiche Unterlagen in Kopie aushändigen. Diese Nachprüfungen wurden durch Auskunftsersuchen ergänzt.

Rz. 9

Am 13. März 1990 richtete die Kommi...

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