Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Kombinierte Veranlagung der Einkommensteuer und der Sozialversicherungsbeiträge. Nichtanwendung eines Höchstsatzes der Sozialbeiträge, der für Arbeitnehmer gilt, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt haben, auf Arbeitnehmer, die ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen. Eventueller Ausgleich durch Vorteile bei der Einkommensteuer. Etwaige Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Folgen
Beteiligte
Inspecteur van de Belastingdienst Particulieren/Ondernemingen buitenland |
Tenor
1. Ein Arbeitnehmer kann sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, auf Artikel 48 EG-Vertrag und Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft berufen, wenn er in einem anderen Mitgliedstaat gewohnt hat und dort einer abhängigen Beschäftigung nachgegangen ist.
2. Artikel 48 EG-Vertrag verbietet es einem Mitgliedstaat, bei einem Arbeitnehmer, der im Laufe des Jahres seinen Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt hat, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, höhere Sozialversicherungsbeiträge zu erheben, als sie unter gleichen Umständen von einem Arbeitnehmer geschuldet würden, der seinen Wohnort das ganze Jahr über in dem betreffenden Mitgliedstaat beibehalten hat, wobei der erstgenannte Arbeitnehmer im übrigen keine zusätzlichen Sozialleistungen erhält.
3. Eine – grundsätzlich gegen Artikel 48 EG-Vertrag verstoßende – höhere Beitragsbelastung für Arbeitnehmer, die ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, läßt sich weder dadurch rechtfertigen, daß sie sich aus einer auf Vereinfachung und Koordinierung der Erhebung der Einkommensteuer und der Sozialversicherungsbeiträge gerichteten Regelung ergibt, noch durch anderen Erhebungsmodalitäten entgegenstehende technische Schwierigkeiten, noch dadurch, daß in bestimmten Fällen andere mit der Einkommensteuer zusammenhängende Vorteile den Nachteil bei den Sozialbeiträgen ausgleichen oder sogar überkompensieren können.
4. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Belastung mit Sozialbeiträgen, die ein Arbeitnehmer zu tragen hat, der seinen Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegt hat, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, höher als diejenige ist, die ein Arbeitnehmer zu tragen hat, der seinen Wohnort im selben Mitgliedstaat beibehalten hat, sind alle nach den nationalen Rechtsvorschriften für die Bestimmung der Höhe der Beiträge maßgebenden Einkünfte, gegebenenfalls einschließlich der Erträge aus Immobilien, zu berücksichtigen.
5. Arbeitnehmer, die ihren Wohnort von einem Mitgliedstaat in einen anderen verlegen, um dort einer abhängigen Beschäftigung nachzugehen, haben, falls die streitige nationale Regelung mit Artikel 48 EG-Vertrag unvereinbar sein sollte, Anspruch auf Festsetzung ihrer Sozialversicherungsbeiträge in gleicher Höhe wie diejenigen Beiträge, die von Arbeitnehmern geschuldet würden, die ihren Wohnort im selben Mitgliedstaat beibehalten haben.
Tatbestand
In der Rechtssache C-18/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Gerechtshof 's-Hertogenbosch (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
F. C. Terhoeve
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst Particulieren/Ondernemingen buitenland
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 7 und 48 EG-Vertrag sowie des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten und Sechsten Kammer P. J. G. Kapteyn in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidenten G. Hirsch und P. Jann sowie der Richter G. F. Mancini (Berichterstatter), J. C. Moitinho de Almeida, C. Gulmann, J. L. Murray, L. Sevón, M. Wathelet, R. Schintgen und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Terhoeve, vertreten durch die Steuerberater F. W. van Eig und S. Feenstra von der Kanzlei Moret Ernst & Young,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater A. Bos, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. J. Drijber und I. Martínez del Peral Cagigal, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Herrn Terhoeve, vertreten durch S. Feenstra, der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater M. Fierstra, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, und der Kommission, vertreten durch Rechtsberater P. J. Kuijper als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom...