Entscheidungsstichwort (Thema)
Mutter-Tochter-Richtlinie, Gewinnausschüttung durch Tochtergesellschaft, Quellensteuerabzug, Verrechnung der Gewinnausschüttung mit EK 02 und EK 04
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Bestimmung des nationalen Rechts, nach der bei der Ausschüttung von Gewinnen durch eine Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft Einkünfte und Vermögensmehrungen der Tochtergesellschaft besteuert werden, die nicht besteuert worden wären, wenn diese sie thesauriert hätte, anstatt sie an die Muttergesellschaft auszuschütten, bewirkt keinen Steuerabzug an der Quelle im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten.
2. Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung einer nationalen Bestimmung wie § 28 Abs. 4 des Körperschaftsteuergesetzes 1996 in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung nicht entgegensteht, nach der die Besteuerung der Gewinne, die von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, unabhängig davon, ob die Muttergesellschaft in demselben oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, ein und demselben Berichtigungsmechanismus unterliegt, auch wenn einer gebietsfremden Muttergesellschaft im Gegensatz zu einer gebietsansässigen Muttergesellschaft vom Mitgliedstaat der Ansässigkeit ihrer Tochtergesellschaft keine Steuergutschrift gewährt wird.
Normenkette
EWGRL 435/90 Art. 5 Abs. 1; EGVtr Art. 52
Beteiligte
Finanzamt Hamburg-Am Tierpark |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Steuerrecht ‐ Niederlassungsfreiheit ‐ Richtlinie 90/435/EWG ‐ Körperschaftsteuer ‐ Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ‐ Kapitalgesellschaft ‐ Ausschüttung von Einkünften und Vermögensmehrungen ‐ Steuerabzug an der Quelle ‐ Steuergutschrift ‐ Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Anteilseigner“
In der Rechtssache C-284/06
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Februar 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Juni 2006, in dem Verfahren
Finanzamt Hamburg-Am Tierpark
gegen
Burda GmbH, früher Burda Verlagsbeteiligungen GmbH,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters G. Arestis (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und T. von Danwitz,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: J. Swedenborg, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2007,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Burda GmbH, früher Burda Verlagsbeteiligungen GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte H. Geißler, B. von Winterfeld und J. Lüdicke,
‐ der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und W. Mölls als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. Januar 2008
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6) in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Richtlinie 90/435), des Art. 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 43 EG) sowie der Art. 73b und 73d EG-Vertrag (jetzt Art. 56 EG bzw. 58 EG).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Burda GmbH, früher Burda Verlagsbeteiligungen GmbH (im Folgenden: Burda), und dem Finanzamt Hamburg-Am Tierpark (im Folgenden: Finanzamt) über die Besteuerung der Gewinne, die Burda im Jahr 1998 für die Wirtschaftsjahre 1996 und 1997 an eine ihrer Muttergesellschaften, die RCS International Services BV (im Folgenden: RCS) mit Sitz in den Niederlanden, ausgeschüttet hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Die Richtlinie 90/435 bezweckt nach ihrem ersten Erwägungsgrund die Schaffung „wettbewerbsneutrale[r] steuerliche[r] Regelungen …, um die Anpassung von Unternehmen an die Erfordernisse des Gemeinsamen Marktes, eine Erhöhung ihrer Produktivität und eine Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene zu ermöglichen“.
4
Nach ihrem dritten Erwägungsgrund soll die Richtlinie 90/435 insbesondere die steuerlichen Benachteiligungen beseitigen, die zulasten von Gruppen von Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten gegenüber Gruppen von Gesellschaften eines und desselben Mitgliedstaats bestehen.
5
Die Art. 1 bis 7 der Richtlinie 90/435 bestimmen:
„Artikel 1
(1) Jeder Mitgliedstaat wendet diese Richtlinie an
‐ auf Gewinnausschüttungen, die Gesellschaften dieses Staates von Tochtergesellschaften...