Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit. Beschränkungen. Öffentliche Ordnung. Ordnungsbehördliche Maßnahmen, die das Aufenthaltsrecht eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats auf einen Teil des nationalen Hoheitsgebiets beschränken
Beteiligte
Tenor
Weder Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) noch die Bestimmungen des abgeleiteten Rechts zur Durchführung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer verwehren es einem Mitgliedstaat, gegenüber einem Wanderarbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, ordnungsbehördliche Maßnahmen zu treffen, mit denen das Aufenthaltsrecht dieses Arbeitnehmers auf einen Teil des nationalen Hoheitsgebiets beschränkt wird, sofern
- auf sein individuelles Verhalten gestützte Gründe der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit es rechtfertigen,
- diese Gründe ohne die Möglichkeit einer teilweisen Beschränkung wegen ihrer Schwere nur zu einem Aufenthaltsverbot oder zu einer Entfernung aus dem gesamten nationalen Hoheitsgebiet führen können und
- das Verhalten, das der betreffende Mitgliedstaat verhindern will, dann, wenn es von seinen eigenen Staatsangehörigen ausgeht, repressive oder andere tatsächliche und effektive Maßnahmen zu seiner Bekämpfung zur Folge hat.
Tatbestand
In der Rechtssache C-100/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Conseil d'État (Frankreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Ministre de l'Intérieur
gegen
Aitor Oteiza Olazabal
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6, 8a und 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 18 EG und 39 EG) sowie der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, 56, S. 850),
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, M. Wathelet und R. Schintgen, der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola, P. Jann (Berichterstatter) und V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr und J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: A. Tizzano
Kanzler: M.-F. Contet, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Oteiza Olazabal, vertreten durch D. Rouget, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues und C. Chevallier als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch die Abogacía del Estado,
- der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von F. Quadri, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Martin und C. O'Reilly als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Oteiza Olazabal, vertreten durch D. Rouget, der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham und C. Bergeot als Bevollmächtigte, der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte, der spanischen Regierung, vertreten durch die Abogacía del Estado, und der Kommission, vertreten durch D. Martin und C. O'Reilly, in der Sitzung vom 15. Januar 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. April 2002,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1.
Der Conseil d'État hat mit Beschluss vom 29. Dezember 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Februar 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung der Artikel 6, 8a und 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 18 EG und 39 EG) sowie der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 1964, 56, S. 850), zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen dem französischen Ministre de l'Intérieur (Innenminister) und dem spanischen Staatsangehörigen Oteiza Olazabal über die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zur Beschränkung des Aufenthaltsrechts von Herrn Oteiza Olazabal auf einen Teil des französischen Hoheitsgebiets.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 6 Absatz 1 EG-Vertrag sieht vor:
Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.
4.
Artikel 8a Absatz 1 EG-Vertrag bestimmt:
Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.
5.
Nach Artikel 48 EG-Vertrag gilt Folgendes:
(1) Spätestens bis zum Ende der Übergangszeit wird innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeit...