Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Niederlassungsfreiheit. Steuerrecht. Körperschaftsteuer. Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat als den Gründungsmitgliedstaat der Gesellschaft. Verlegung der Steueransässigkeit in diesen anderen Mitgliedstaat. Nationale Regelung, der zufolge es nicht zulässig ist, den im Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft gegründet wurde, vor der Sitzverlegung angefallenen steuerlichen Verlust geltend zu machen
Normenkette
AEUV Art. 49
Beteiligte
Odvolací finanční ředitelství |
Verfahrensgang
Nejvyssí správní soud (Tschechien) (Beschluss vom 31.05.2018; ABl. EU 2018, Nr. C 301/18) |
Tenor
1. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass sich eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ohne dass die Sitzverlegung ihre Eigenschaft als nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft berührt, auf diesen Artikel berufen kann, um dagegen vorzugehen, dass ihr in dem anderen Mitgliedstaat die Übertragung der vor der Sitzverlegung angefallenen Verluste verwehrt wird.
2. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, der zufolge es einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz und damit ihre Steueransässigkeit in diesen Mitgliedstaat verlegt hat, verwehrt ist, einen steuerlichen Verlust geltend zu machen, der vor der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz beibehält, angefallen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Oberstes Verwaltungsgericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 31. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 2018, in dem Verfahren
AURES Holdings a.s.
gegen
Odvolací finanční ředitelství
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe (Berichterstatterin) sowie des Richters N. Piçarra,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der AURES Holdings a.s., vertreten durch M. Olík, advokát,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch J. Möller, R. Kanitz und T. Henze, dann durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier und C. Mosser als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, H. S. Gijzen und L. Noort als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch C. Meyer-Seitz, A. Falk, H. Shev, J. Lundberg und H. Eklinder als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, zunächst vertreten durch R. Fadoju und F. Shibli, dann durch F. Shibli als Bevollmächtigte im Beistand von B. McGurk, D. Yates und L. Ruxandu, Barristers,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Salyková, N. Gossement, H. Støvlbæk und L. Malferrari als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. Oktober 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49, 52 und 54 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der AURES Holdings a.s. und der Odvolací finanční ředitelství (Berufungsdirektion für Finanzen, Tschechische Republik, im Folgenden: Berufungsdirektion), weil die Berufungsdirektion es der AURES Holdings a.s. verwehrt hat, einen steuerlichen Verlust abzuziehen, der ihr in einem anderen Mitgliedstaat als der Tschechischen Republik entstanden ist.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 34 („Von der Steuerbemessungsgrundlage abzugsfähige Posten”) des Zákon č. 586/1992 Sb., o daních z příjmů (Gesetz Nr. 586/1992 über die Einkommensteuer) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: EKStG) sieht in Abs. 1 vor:
„Der steuerliche Verlust, der im vorangegangenen Besteuerungszeitraum entstanden und festgesetzt worden ist, oder ein Teil davon kann von der Steuerbemessungsgrundlage abgezogen werden, dies maximal in den fünf Besteuerungszeiträumen, die unmittelbar auf den Zeitraum folgen, für den der steuerliche Verlust festgesetzt worden ist. …”
Rz. 4
§ 38n („Steuerlicher Verlust”) Abs. 1 und 2 dieses Gesetzes lautet:
„(1) Liegen die im Sinne von § 23 angepassten Ausgaben (Aufwendungen) über den gemäß diesem Artikel angepasste...