Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verarbeitung personenbezogener Daten. Erstellung einer Liste mit personenbezogenen Daten. Zweck. Steuererhebung. Bekämpfung von Steuerbetrug. Gerichtliche Nachprüfung. Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten. Vorherige Verwaltungsbeschwerde als Voraussetzung für eine Klage bei Gericht. Zulässigkeit der betreffenden Liste als Beweismittel. Anforderungen für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten. Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe des für die Verarbeitung Verantwortlichen
Normenkette
Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7-8, 47; Richtlinie 95/46/EG Art. 1, 7, 13; EUV Art. 4 Abs. 3
Beteiligte
Finančné riaditeľstvo Slovenskej republiky |
Kriminálny úrad finančnej správy |
Tenor
1. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsvorschrift nicht entgegensteht, die die Möglichkeit einer Person, die eine Beeinträchtigung ihres mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr gewährleisteten Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten rügt, bei Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen, davon abhängig macht, dass zuvor die verfügbaren Verwaltungsrechtsbehelfe ausgeschöpft worden sind, vorausgesetzt, dass die konkreten Modalitäten für die Ausübung dieser Rechtsbehelfe das Recht auf einen Rechtsbehelf bei einem Gericht nicht unverhältnismäßig beeinträchtigen. Die vorherige Ausschöpfung der verfügbaren Verwaltungsrechtsbehelfe darf insbesondere keine wesentliche Verzögerung für die Erhebung einer Klage bewirken, muss die Verjährung der betroffenen Ansprüche hemmen und darf keine übermäßigen Kosten mit sich bringen.
2. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht eine Liste wie die streitige Liste, die von der betroffenen Person vorgelegt wird und die personenbezogene Daten von ihr enthält, als Beweismittel für eine Verletzung des mit der Richtlinie 95/46 gewährten Schutzes personenbezogener Daten in dem Fall zurückweist, dass die betroffene Person diese Liste ohne die gesetzlich vorgeschriebene Einwilligung des für die Verarbeitung dieser Daten Verantwortlichen erlangt hat, es sei denn, dass eine solche Zurückweisung im nationalen Recht vorgesehen ist und sowohl den Wesensgehalt des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.
3. Art. 7 Buchst. e der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass er einer Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Behörden eines Mitgliedstaats für Steuererhebungszwecke und zur Bekämpfung von Steuerbetrug, wie sie mit der Erstellung einer Liste von Personen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ohne die Einwilligung der betroffenen Personen vorgenommen wird, nicht entgegensteht, sofern zum einen den betreffenden Behörden durch den nationalen Gesetzgeber im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben im Sinne dieser Vorschrift übertragen worden sind, die Erstellung dieser Liste und die Aufnahme der Namen der betroffenen Personen in diese zur Verwirklichung der verfolgten Ziele tatsächlich geeignet und erforderlich sind und hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffenen Personen zu Recht auf dieser Liste geführt werden, und zum anderen sämtliche in der Richtlinie 95/46 aufgestellten Zulässigkeitsvoraussetzungen für die betreffende Verarbeitung personenbezogener Daten erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik) mit Entscheidung vom 3. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Februar 2016, in dem Verfahren
Peter Puškár
gegen
Finančné riaditeľstvo Slovenskej republiky,
Kriminálny úrad finančnej správy
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Puškár, vertreten durch M. Mandzák, advokát,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommissio...