Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsklage zur Abwehr schädlicher Einwirkungen oder der Gefahr schädlicher Einwirkungen auf Grundstücke durch den Betrieb eines Kernkraftwerks, das sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet. Verpflichtung zur Duldung schädlicher Einwirkungen oder der Gefahr schädlicher Einwirkungen durch Anlagen, die im Staat des Gerichtsstands behördlich genehmigt wurden. Nichtberücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten erteilten Genehmigungen. Gleichbehandlung. Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des EAG-Vertrags
Beteiligte
Tenor
1. Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des EAG-Vertrags steht der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach denen ein Unternehmen, das über die erforderlichen Genehmigungen für den Betrieb eines Kernkraftwerks in einem anderen Mitgliedstaat verfügt, im Hinblick auf die von dieser Anlage ausgehenden schädlichen Einwirkungen oder die Gefahr schädlicher Einwirkungen auf benachbarte Grundstücke auf Unterlassung verklagt werden kann, während Unternehmen mit einer industriellen Anlage im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats des Gerichtsstands, für die dort eine behördliche Genehmigung erteilt wurde, nicht mit einer solchen Klage belangt und nur auf Zahlung von Schadensersatz für die Beeinträchtigung eines benachbarten Grundstücks gerichtlich in Anspruch genommen werden können.
2. Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht, das es anzuwenden hat, so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auslegen. Wenn eine solche konforme Anwendung nicht möglich ist, ist das nationale Gericht verpflichtet, das Gemeinschaftsrecht in vollem Umfang anzuwenden und die Rechte, die dieses dem Einzelnen einräumt, zu schützen, indem es notfalls jede Bestimmung unangewandt lässt, deren Anwendung im konkreten Fall zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen würde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Landesgericht Linz (Österreich) mit Entscheidung vom 5. März 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 17. März 2008, in dem Verfahren
Land Oberösterreich
gegen
ČEZ as
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Schiemann (Berichterstatter), P. Kūris, E. Juhász, G. Arestis und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Landes Oberösterreich, vertreten durch Rechtsanwälte J. Hintermayr, F. Haunschmidt, G. Minichmayr, P. Burgstaller, G. Tusek und C. Hadeyer,
- der ČEZ as, vertreten durch Rechtsanwalt W. Moringer,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl, C. Rauscher und C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch A.-L. During als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz, M. Nowacki und D. Krawczyk als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und B. Schima als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. April 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 EG, 12 EG, 28 EG und 43 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Land Oberösterreich und der ČEZ as (im Folgenden: ČEZ) über schädliche Einwirkungen oder die Gefahr schädlicher Einwirkungen auf landwirtschaftliche Flächen in Österreich, die im Eigentum des genannten Landes stehen, in Verbindung mit ionisierenden Strahlungen aufgrund des Betriebs eines Kernkraftwerks in Temelín im Gebiet der Tschechischen Republik durch die ČEZ.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Der EAG-Vertrag
Rz. 3
Art. 1 Abs. 2 EA lautet:
„Aufgabe der Atomgemeinschaft ist es, durch die Schaffung der für die schnelle Bildung und Entwicklung von Kernindustrien erforderlichen Voraussetzungen zur Hebung der Lebenshaltung in den Mitgliedstaaten und zur Entwicklung der Beziehungen mit den anderen Ländern beizutragen.”
Rz. 4
Art. 2 EA bestimmt:
„Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrags
…
b) einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen;
c) die Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft no...