Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Verordnung (EG) Nr. 2201/2003. Sachlicher und zeitlicher Anwendungsbereich. Begriff der Zivilsachen. Entscheidung über die Inobhutnahme und Unterbringung von Kindern außerhalb der eigenen Familie. Dem öffentlichen Recht unterliegende Maßnahmen des Kindesschutzes
Beteiligte
Tenor
1. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2116/2004 des Rates vom 2. Dezember 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine einheitliche Entscheidung, die die sofortige Inobhutnahme und die Unterbringung eines Kindes außerhalb der eigenen Familie in einer Pflegefamilie anordnet, unter den Begriff der Zivilsachen im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn die Entscheidung im Rahmen des dem öffentlichen Recht unterliegenden Kindesschutzes ergangen ist.
2. Die Verordnung Nr. 2201/2003 in der durch die Verordnung Nr. 2116/2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine harmonisierte nationale Regelung über die Anerkennung und Vollstreckung von Verwaltungsentscheidungen über die Inobhutnahme und Unterbringung von Personen, die im Rahmen der nordischen Zusammenarbeit ergangen ist, auf eine Entscheidung über die Inobhutnahme eines Kindes, die in den Anwendungsbereich der genannten Verordnung fällt, nicht angewandt werden kann.
3. Vorbehaltlich der Beurteilung des Sachverhalts, für die allein das vorlegende Gericht zuständig ist, ist die Verordnung Nr. 2201/2003 in der durch die Verordnung Nr. 2116/2004 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass sie in zeitlicher Hinsicht auf eine Rechtssache wie die des Ausgangsverfahrens anwendbar ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Korkein hallinto-oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 13. Oktober 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Oktober 2006, in dem Verfahren
C
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und A. Tizzano, der Richter R. Schintgen und J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta, sowie der Richter J.-C. Bonichot, T. von Danwitz und A. Arabadjiev,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von C, vertreten durch M. Fredman, asianajaja,
- der finnischen Regierung, vertreten durch A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A.-L. During als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch J. Čorba als Bevollmächtigten,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Wilderspin und P. Aalto als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. September 2007
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 2116/2004 des Rates vom 2. Dezember 2004 (ABl. L 367, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2201/2003).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsmittels von C, der Mutter der Kinder A und B, gegen die Entscheidung des Oulun hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Oulu [Finnland]), mit der die Anordnung der finnischen Polizei, die Kinder den schwedischen Behörden zu überstellen, bestätigt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 In der 28. Gemeinsamen Erklärung zur nordischen Zusammenarbeit, die der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge beigefügt ist (ABl. 1994, C 241, S. 21, und ABl. 1995, L 1, S. 1), heißt es:
„Die Vertragsparteien stellen fest, dass Schweden, Finnland und Norwegen als Mitglieder der Europäischen Union beabsichtigen, die zwischen ihnen sowie mit anderen Ländern und Gebieten bestehende nordische Zusammenarbeit in völligem Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht und den sonstigen Bestimmungen des Vertrags über die Europäi...