Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsständische Vertretung für geprüfte Buchhalter. Rechtsvorschriften über das System der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter. Art. 101 AEUV. Unternehmensvereinigungen. Einschränkung des Wettbewerbs. Rechtfertigungsgründe. Art. 106 Abs. 2 AEUV
Beteiligte
Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas |
Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas |
Autoridade da Concorrência |
Tenor
1. Ein Erlass wie der Erlass über den Erwerb von Fortbildungspunkten (Regulamento da Formação de Créditos), der von einer berufsständischen Vertretung wie der Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas (Berufsständische Vertretung für geprüfte Buchhalter) angenommen wurde, ist als ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV anzusehen.
Der Umstand, dass eine berufsständische Vertretung wie die Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas gesetzlich verpflichtet ist, ein System der obligatorischen Fortbildung für ihre Mitglieder zu errichten, kann die von dieser berufsständischen Vertretung erlassenen Normen nicht dem Anwendungsbereich von Art. 101 AEUV entziehen, sofern diese Normen ausschließlich ihr zuzurechnen sind.
Der Umstand, dass sich diese Normen nicht unmittelbar auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Mitglieder dieser berufsständischen Vertretung auswirken, berührt die Anwendung von Art. 101 AEUV nicht, wenn der der berufsständischen Vertretung zur Last gelegte Verstoß einen Markt betrifft, auf dem sie selbst eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt.
2. Ein Erlass wie der Erlass über den Erwerb von Fortbildungspunkten, mit dem ein System der obligatorischen Fortbildung der geprüften Buchhalter errichtet wird, um die Qualität der von diesen angebotenen Dienstleistungen sicherzustellen, und der von einer berufsständischen Vertretung wie der Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas angenommen wurde, stellt eine nach Art. 101 AEUV verbotene Wettbewerbsbeschränkung dar, wenn er, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, auf einem wesentlichen Teil des relevanten Marktes zugunsten dieser berufsständischen Vertretung den Wettbewerb ausschaltet und auf dem restlichen Teil dieses Marktes diskriminierende Bedingungen zum Nachteil der Wettbewerber der berufsständischen Vertretung vorsieht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação de Lisboa (Portugal) mit Entscheidung vom 15. November 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Januar 2012, in dem Verfahren
Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas
gegen
Autoridade da Concorréncia,
Beteiligter:
Ministério Público,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und J. L. da Cruz Vilaça,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas, vertreten durch D. Abecassis, L. Vilhena de Freitas und R. Leandro Vasconcelos, advogados,
- des Ministério Público, vertreten durch F. de Jesus Marques de Oliveira, procuradora-geral adjunta,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten im Beistand von M. Caldeira, advogada,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Varrone, avvocato dello Stato,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Khan, L. Parpala und P. Guerra e Andrade als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 56 AEUV, 101 AEUV, 102 AEUV und 106 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ordem dos Técnicos Oficiais de Contas (Berufsständische Vertretung für geprüfte Buchhalter, im Folgenden: OTOC) und der Autoridade da Concorrência (Wettbewerbsbehörde, im Folgenden: AdC) u. a. über die Vereinbarkeit des Erlasses über den Erwerb von Fortbildungspunkten (Regulamento da Formação de Créditos, Diário da República II, Nr. 133 vom 12. Juli 2007, im Folgenden: streitiger Erlass) mit Art. 101 AEUV. Dieser Erlass wurde am 18. Mai 2007 von der Kammer für geprüfte Buchhalter, der Vorgängerin der OTOC, angenommen.
Rechtlicher Rahmen
Die Satzung der OTOC
Rz. 3
Art. 1 der Satzung der Berufsständischen Vertretung für geprüfte Buchhalter (im Folgenden: Satzung der OTOC) in Anhang I des Gesetzesdekrets Nr. 310/2009 vom 26. Oktober 2009 lautet:
„Die [OTOC] ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, die die beruflichen Interessen der geprüften Buchhalter im Rahmen ihrer Pflichtmitgliedscha...