Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtlinie 86/653/EWG. Selbständige Handelsvertreter. Beendigung des Vertragsverhältnisses durch den Unternehmer. Anspruch des Handelsvertreters auf einen Ausgleich
Beteiligte
Tenor
Art. 18 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter lässt es nicht zu, dass ein selbständiger Handelsvertreter seinen Ausgleichsanspruch verliert, wenn der Unternehmer ein schuldhaftes Verhalten des Handelsvertreters feststellt, das nach dem Zugang der ordentlichen Kündigung des Vertrags und vor Vertragsende stattgefunden hat und das eine fristlose Kündigung des Vertrags gerechtfertigt hätte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 29. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2009, in dem Verfahren
Volvo Car Germany GmbH
gegen
Autohof Weidensdorf GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet, E. Levits und M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Volvo Car Germany GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte J. Kummer und P. Wassermann,
- der Autohof Weidensdorf GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Breithaupt,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, J. Kemper und S. Unzeitig als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Støvlbæk und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Juni 2010,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 18 Buchst. a der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17, im Folgenden: Richtlinie).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Autohof Weidensdorf GmbH (im Folgenden: AHW) und der Volvo Car Germany GmbH (im Folgenden: Volvo Car) über einen Ausgleichsanspruch und Zahlungsansprüche aufgrund von Gutschriften, die von AHW geltend gemacht werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie lautet:
„Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im Folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.”
Rz. 4
Art. 16 der Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie berührt nicht die Anwendung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, wenn diese Rechtsvorschriften die fristlose Beendigung des Vertragsverhältnisses für den Fall vorsehen, dass
- eine der Parteien ihren Pflichten insgesamt oder teilweise nicht nachgekommen ist;
- außergewöhnliche Umstände eintreten.”
Rz. 5
Art. 17 der Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.
(2)
a) Der Handelsvertreter hat Anspruch auf einen Ausgleich, wenn und soweit
- er für den Unternehmer neue Kunden geworben oder die Geschäftsverbindungen mit vorhandenen Kunden wesentlich erweitert hat und der Unternehmer aus den Geschäften mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und
- die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht. …”
Rz. 6
Art. 18 der Richtlinie sieht vor:
„Der Anspruch auf Ausgleich oder Schadensersatz nach Artikel 17 besteht nicht,
- wenn der Unternehmer den Vertrag wegen eines schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters beendet hat, das aufgrund der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine fristlose Beendigung des Vertrages rechtfertigt;
- wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis beendet hat, es sei denn, diese Beendigung ist aus Umständen, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, oder durch Alter, Gebrechen oder Krankheit des Handelsvertreters, derentwegen ihm eine Fortsetzung seiner Tätigkeit billigerweise nicht zugemutet werden kann, gerechtfertigt;
…”
Rz. 7
Art. 19 der Richtlinie lautet:
„Die Parteien können vor Ablauf des Vertrages keine Vereinbarungen treffen, die von Artikel 17 und 18 zum Nachteil des Handelsvertreters abweichen.”
Nationales Recht
Rz. 8
In § 89a Handelsgesetzbuch (HGB) heißt es:
„(1) Das Vertragsverhältnis kann von jedem Teil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Dieses...