Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Informationsgesellschaft. Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte. Öffentliche Wiedergabe. Begriff ‚öffentlich’. Auf elektronischem Wege an ein Gericht erfolgte Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „öffentliche Wiedergabe” nicht die auf elektronischem Weg an ein Gericht erfolgende Übermittlung eines geschützten Werks als Beweismittel im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zwischen Privatpersonen abdeckt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Svea hovrätt – Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht, Patent- und Marktgericht, Stockholm, Schweden) mit Entscheidung vom 20. August 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 27. August 2019, in dem Verfahren
BY
gegen
CX
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter), E. Juhász, C. Lycourgos und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der schwedischen Regierung, vertreten durch C. Meyer-Seitz und H. Eklinder als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Simonsson und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. September 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Kläger des Ausgangsverfahrens, der behauptet, Inhaber eines Urheberrechts an einer Fotografie zu sein, und dem Beklagten des Ausgangsverfahrens, einem Nutzer dieses Fotos, wegen der Übermittlung einer Kopie einer Textseite von der Website des Klägers, die diese Fotografie enthält, durch den Beklagten an ein Zivilgericht als Beweismittel im Rahmen eines Verfahrens zwischen ihm und dem Kläger.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 3, 9, 10 und 31 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(3) Die vorgeschlagene Harmonisierung trägt zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarkts bei und steht im Zusammenhang mit der Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts, insbesondere des Eigentums einschließlich des geistigen Eigentums, der freien Meinungsäußerung und des Gemeinwohls.
…
(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden.
(10) Wenn Urheber und ausübende Künstler weiter schöpferisch und künstlerisch tätig sein sollen, müssen sie für die Nutzung ihrer Werke eine angemessene Vergütung erhalten, was ebenso für die Produzenten gilt, damit diese die Werke finanzieren können. Um Produkte wie Tonträger, Filme oder Multimediaprodukte herstellen und Dienstleistungen, z. B. Dienste auf Abruf, anbieten zu können, sind beträchtliche Investitionen erforderlich. Nur wenn die Rechte des geistigen Eigentums angemessen geschützt werden, kann eine angemessene Vergütung der Rechtsinhaber gewährleistet und ein zufrieden stellender Ertrag dieser Investitionen sichergestellt werden.
…
(31) Es muss ein angemessener Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern sowie zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und Nutzern von Schutzgegenständen gesichert werden. Die von den Mitgliedstaaten festgelegten Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf Schutzrechte müssen vor dem Hintergrund der neuen elektronischen Medien neu bewertet werden. … Um ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten, sollten diese Ausnahmen und Beschränkungen einheitlicher definiert werden. Dabei sollte sich der Grad ihrer Harmonisierung nach ihrer Wirkung auf die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts bestimmen.”
Rz. 4
Art. 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken u...