Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen. Grundsatz ‚ne bis in idem’. Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung. Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an die Vereinigten Staaten aufgrund eines von einem Mitgliedstaat geschlossenen bilateralen Vertrags. Staatsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat rechtskräftig verurteilt worden ist und dort seine gesamte Strafe verbüßt hat

 

Normenkette

Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 50, 54

 

Beteiligte

Generalstaatsanwaltschaft München () und ne bis in idem)

HF

 

Tenor

Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen in seiner durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

ist dahin auszulegen, dass

er der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat durch die Behörden eines Mitgliedstaats entgegensteht, wenn dieser Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Taten wie denen, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, rechtskräftig verurteilt worden ist und die dort verhängte Strafe verbüßt hat und das Auslieferungsersuchen auf einem bilateralen Auslieferungsvertrag beruht, der die Reichweite des Grundsatzesne bis in idemauf die Urteile beschränkt, die in dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Beschluss vom 21. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2022, in dem Strafverfahren gegen

HF,

Beteiligte:

Generalstaatsanwaltschaft München,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Kammerpräsidenten D. Gratsias, der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin), der Richter S. Rodin, F. Biltgen, N. Piçarra und N. Wahl, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von HF, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Schomburg und M. Weber,
  • der Generalstaatsanwaltschaft München, vertreten durch F. Halabi als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche, M. Hellmann und U. Kühne als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Baumgart und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Oktober 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) (im Folgenden: SDÜ) in seiner durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 182, S. 1) geänderten Fassung sowie von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Auslieferungsersuchens, das von den Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika an die Behörden der Bundesrepublik Deutschland gerichtet worden ist, um gegen HF, einen serbischen Staatsangehörigen, im Wege der Strafverfolgung vorzugehen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

SDÜ

Rz. 3

Das SDÜ wurde geschlossen, um die Durchführung des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13) sicherzustellen.

Rz. 4

Art. 20 SDÜ, der sich in Titel II Kapitel 4 („Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern”) des SDÜ befindet, bestimmt in Abs. 1:

„Sichtvermerksfreie Drittausländer kön...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge