Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Asylpolitik. Voraussetzungen für einen Anspruch auf internationalen Schutz. Inhalt des zu gewährenden Schutzes. Aus Nachfluchtgründen entstehender Bedarf an internationalem Schutz. Folgeantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Begriff der Umstände, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslands selbst geschaffen hat. Missbrauchsabsicht und Absicht, das anwendbare Verfahren zu instrumentalisieren. Aktivitäten im Aufnahmemitgliedstaat, die nicht Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Religionswechsel

 

Normenkette

EURL 95/2011; EURL 95/2011 Art. 5, 5 Abs. 3

 

Beteiligte

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Conversion religieuse ultérieure)

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

JF

 

Tenor

Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund eines Folgeantrags im Sinne von Art. 2 Buchst. q der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, der auf eine Verfolgungsgefahr gestützt wird, die auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslands selbst geschaffen hat, von der Voraussetzung abhängig macht, dass diese Umstände Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung des Antragstellers sind.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-222/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 16. März 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2022, in dem Verfahren

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl

gegen

JF

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von JF, vertreten durch Rechtsanwalt C. Schmaus,
  • –        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und V.-S. Strasser als Bevollmächtigte,
  • –        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und A. Hoesch als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und L. Hohenecker als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9, berichtigt in ABl. 2017, L 167, S. 58).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Österreich) (im Folgenden: BFA) und JF, einem Drittstaatsangehörigen, über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der JF nach einem Folgeantrag auf internationalen Schutz die Anerkennung als Flüchtling verweigert wurde.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 1 Abschnitt A des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 [1954]), das am 22. April 1954 in Kraft trat und durch das am 31. Januar 1967 in New York abgeschlossene Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, das am 4. Oktober 1967 in Kraft trat, ergänzt wurde (im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention), sieht vor:

„Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck ‚Flüchtling‘ auf jede Person Anwendung:

2.      die … aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose … außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

…“

Rz....

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