Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verkehr. Führerschein. Gegenseitige Anerkennung. Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen als dem Ausstellermitgliedstaat. Anbringung eines Vermerks auf dem Führerschein, dass er im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats ungültig ist
Beteiligte
Tenor
Die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein in der durch die Richtlinie 2011/94/EU der Kommission vom 28. November 2011 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat, der nach Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 dieser Richtlinie in der durch die Richtlinie 2011/94 geänderten Fassung eine Entscheidung erlassen hat, mit der er die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins wegen einer Zuwiderhandlung seines Inhabers, die bei einem vorübergehenden Aufenthalt im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats nach der Ausstellung dieses Führerscheins stattgefunden hat, ablehnt, verwehrt, auf diesem Führerschein auch einen Vermerk über das Verbot für diesen Fahrer, in diesem Gebiet zu fahren, anzubringen, obwohl dieser Inhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie nicht in diesem Gebiet begründet hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Februar 2020, in dem Verfahren
AR
gegen
Stadt Pforzheim
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von AR, vertreten durch Rechtsanwalt B. Ehrle,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und M. Winkler-Unger als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Pethke und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. 2006, L 403, S. 18) in der durch die Richtlinie 2011/94/EU der Kommission vom 28. November 2011 (ABl. 2011, L 314, S. 31) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/126).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem österreichischen Staatsangehörigen AR, der Inhaber eines in Österreich ausgestellten Führerscheins ist, und der Stadt Pforzheim (Deutschland) über die Anbringung eines Vermerks auf seinem Führerschein durch die zuständigen deutschen Behörden über das Verbot, im deutschen Hoheitsgebiet zu fahren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/126 lautet:
„Um zu vermeiden, dass das einheitliche europäische Führerscheinmuster noch zu den bereits in Umlauf befindlichen 110 Mustern hinzukommt, sollten die Mitgliedstaaten alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit alle Führerscheininhaber dieses einheitliche Muster erhalten.”
Rz. 4
Im 16. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:
„Das Führerscheinmuster gemäß der Richtlinie 91/439/EWG [des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. 1991, L 237, S. 1)] sollte durch ein einheitliches Muster in Form einer Plastikkarte ersetzt werden. …”
Rz. 5
Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten führen einen nationalen Führerschein gemäß den Bestimmungen dieser Richtlinie nach dem in Anhang I wiedergegebenen EG-Muster ein. Das Emblem auf Seite 1 des EG-Muster-Führerscheins enthält das Unterscheidungszeichen des ausstellenden Mitgliedstaats.”
Rz. 6
In Art. 2 der Richtlinie 2006/126 heißt es:
- „Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.
- Begründet der Inhaber eines gültigen Führerscheins mit einer von Artikel 7 Absatz 2 abweichenden Gültigkeitsdauer seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem, der den Führerschein ausgestellt hat, so kann der Aufnahmemitgliedstaat nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Tag, an dem der Führerscheininhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats begründet hat, die in dem genannten Artikel vorgesehene Gültigkeitsdauer auf den Führerschein anwenden, indem er den Führerschein erneuert.”
Rz. 7
Art. 7 dieser Richtlinie sieht vor:
„1. Ein Führerschein darf nur an Bewerber ausgestellt werden, die
a) eine Prüfung der Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie eine theoretische Prüfung bestanden haben und die gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe der Anhänge II und III erfüllen;
…
e) ...